Schöffin Mitglied bei „Wildwasser e.V.“ – befangen?

© sss78 – Fotolia.com

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In einem beim LG Stade anhängigen Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern hat an der Berufungshauptverhandlung eine Schöffin teilgenommen, die Mitglied bei Wildwasser e.V. und dort früher auch im Vorstand tätig war. Der Angeklagte hat darauf einen Ablehnungsantrag gestützt und dessen Zurückweisung dann mit der Revision geltend gemacht. Das OLG Celle sagt im OLG Celle, Beschl. v. 02.06,.2014 –  31 Ss 22/14: Allein die Mitgliedschaft einer Schöffin bei „Wildwassser e.V.“ begründet auch dann nicht die Besorgnis der Befangenheit, wenn dem Angeklagten sexueller Missbrauch von Kindern zur Last gelegt wird. Aus der Begründung:

b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die unter dem Namen „Wildwasser e.V.“ regional operierenden Vereine, durch „- vermeintlich – professionell ausgebildete Fachfrauen“ tätig werden, die „auf der Grundlage eines feministisch-parteilichen Konzepts“ arbeiten. Soweit die Revision aus diesem Grundkonzept und den Äußerungen der Schöffin gegenüber dem H. Abendblatt die Sorge ableitet, dass die Schöffin sich auch bei Ausübung ihres Richteramtes nicht von dem „Prinzip feministischer Parteilichkeit“ lösen könne, vermag ihr der Senat nicht zu folgen.

Aus den von der Revision zitierten Quellen ergibt sich, dass das vorgenannte Konzept die konkrete Tätigkeit der Beraterinnen des Vereins im Umgang mit den einzelnen Betroffenen prägt. Die Schöffin selbst war nach ihrer dienstlichen Stellungnahme aber zu keinem Zeitpunkt Beraterin oder sonst in die konkrete Bearbeitung einzelner Beratungsfälle eingebunden, sondern hatte als Vorstandsmitglied lediglich organisatorische Aufgaben wie Spendenbeschaffung und Aufarbeitung einer Ausstellung; zum Zeitpunkt der Verhandlung in vorliegender Sache war sie noch „passives“ Mitglied des Vereins. Soweit die Revision geltend macht, aus dem Titel der Ausstellung „Trau dich – trau dir und deinen Gefühlen“ habe sich auch für die Schöffin deutlich ergeben, dass „Ausgangspunkt für die Zuschreibung der Opferrolle durch Wildwasser nicht von den betreuten Personen wahrgenommene Tatsachen, sondern Befindlichkeiten“ seien, lässt sie außer Acht, dass es sich bei der Ausstellung ausweislich des der Revisionsbegründung beigefügten Artikels aus der R. Rundschau um eine Präventionsausstellung handelte, sie also ersichtlich den Zweck hatte, Menschen davor zu bewahren, überhaupt in die Opferrolle zu geraten. Im Übrigen gehören zu den Tatsachen auch innere Tatsachen (vgl. Meyer-Goßner StPO 56. Aufl. § 112 Rn. 22).

Es ist zwar davon auszugehen, dass die Schöffin das Grundkonzept der Beratungstätigkeit des Vereins kennt und befürwortet. Angesichts des Umstandes, dass die Schöffin als Mitglied des Vorstands und erst recht zuletzt als lediglich passives Mitglied nicht mit konkreten Beratungsfällen befasst war, konnte der Angeklagte bei verständiger Betrachtung indes nicht den weitergehenden Schluss ziehen, die Schöffin könne nicht zwischen dem Arbeitskonzept der Beraterinnen des Vereins und ihren eigenen Pflichten als Schöffin differenzieren und werde nicht unvoreingenommen entscheiden.

c) Diese Besorgnis lässt sich auch nicht aus den Äußerungen der Schöffin gegenüber dem H. Abendblatt ableiten. Aus ihnen kann bei verständiger Würdigung nicht geschlossen werden, dass die Schöffin männliche Angeklagte nur als Täter wahrnehme. Die Passage lautet:

„Die Beteiligung von Nichtjuristen an der Rechtsprechung sollte den Einfluss der Obrigkeit verringern; die Schöffen wirkten als Vermittler zwischen Justiz und Bevölkerung. Das sei auch heute noch eine spannende und wichtige Aufgabe, findet P. H., auf die sie sich jedes Mal aufs Neue unvoreingenommen und aufmerksam einlasse. „Zum einen, weil man das dem Angeklagten einfach schuldig ist. Zum anderen, weil es auch gar nicht anders geht. Wenn ich ins Gericht fahre, weiß ich nämlich nichts über das Verfahren, an dem ich als Schöffin beteiligt bin. Was anliegt, wird uns erst fünf Minuten vor Verhandlungsbeginn gesagt, damit wir mit einem unverfälschten neutralen Blickt Tat und Täter beurteilen können.“

Diese Passage lässt im Zusammenhang gelesen keinen Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Schöffin aufkommen. Allein das Abstellen auf die – ersichtlich laienhaft verwendeten – Worte „Tat und Täter“ kommt nicht in Betracht; denn so isoliert betrachtet würde der letzte Satz schon für sich genommen, aber erst Recht in der Zusammenschau mit dem Rest der Passage keinen Sinn ergeben. Wenn die Schöffin mit den Worten „Tat und Täter“ tatsächlich eine für künftige Verfahren bereits vorgefasste Überzeugung von der Schuld eines jeden männlichen Angeklagten zum Ausdruck gebracht hätte, so wäre nicht ersichtlich, was mit dem „unverfälschten neutralen Blick“ gemeint sein sollte, den sie direkt davor erwähnt hat, und worin die Unvoreingenommenheit bestehen sollte, die zuvor in dem in indirekter Rede wiedergegebenen Satz von ihr bekundet worden ist. Auch wäre nicht nachvollziehbar, was sie „dem Angeklagten einfach schuldig“ sein sollte, wenn nicht die zuvor erwähnte Unvoreingenommenheit. Da der Satz in dem von der Revision vertretenen Verständnis auch bedeuten würde, dass die Schöffin in allen Verfahren gegen männliche Angeklagte, also auch solchen, die keine Sexualstraftaten betreffen, voreingenommen ist, wäre zudem ein Zusammenhang mit ihrer Mitgliedschaft im Verein „Wildwasser“ nicht erkennbar.“

5 Gedanken zu „Schöffin Mitglied bei „Wildwasser e.V.“ – befangen?

  1. Miraculix

    Ich kann zwar die Begründung des OLG sehr gut nachvollziehen, aber der Fall macht mir doch einige Bauchschmerzen.
    Wer sich für ein Thema persönlich engagiert kann m.M.n. nicht wirklich unbefangen sein.

  2. n.n.

    Dass gerade bei einem ehemaligen Vorstandsmitglied eine professionelle Distanz zum Arbeitskonzept des Vereins vorliegen soll, halte ich für abwegig. Die Formulierung „Tat und Täter“ halte ich ebenfalls für problematisch. Denn dies lässt besorgen, dass es der Dame lediglich um das Finden einer „gerechten“ Strafe geht, während ihr die Vorstellung eines Freispruchs (mangels Tat oder mangels Täterschaft des Angeklagten) völlig fremd ist.

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  4. F. Lorenz

    Häufig sieht man dann am völlig absurden Ergebnis zum Nachteil des „Täters“ oder der Prozesspartei was später herauskommt ob jemand Befangen ist oder nicht.
    Gerade das aber ist ja kein Befangenheitsgrund.

    „Befangenheit an sich: Über den Umgang mit einem prozessualen Grundrecht“ NJW 1993, 2222, Dr. Lamprecht, Karlsruhe
    „Schlüssel des Befangenheitsrechts ist der Bürger. … Das Gesetz sieht ihn als Hauptdarsteller, doch die Justiz akzeptiert ihn nicht einmal als Statisten.
    …Entschieden werden müsse ausschließlich, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hat, an der Unvorgenommenheit des Richters zu zweifeln. Doch von diesem Obersatz, der eine selbstkritische Distanz der Justiz insuinuiert, bleibt im Einzelfall wenig übrig. …Kein Wunder, daß bei manchem aus dem Ideal eine fixe Idee geworden ist. Objektivität gilt als Tugend, Subjektivität als Makel. …Verständlich ist auch, warum sich alle – Richter wie Anwälte – scheuen, einem anderen solches Ungemach zu bereiten.“

    Wenn man bezüglich eines Richters, der einem völlig absurde Entscheidungen macht, die es noch nie in der BRD gegeben hat und bis heute einmalig sind, 3 Befangenheitsanträge stellt in 3 gleichen aufeinanderfolgenden Verfahren, letztlich mit über 10 Befangenheitsgründen, die alle zur Ablehnung berechtigen, dann werden diese Anträge auch alle abgelehnt und der Richter kann sich über einen lautstark auslassen wegen nichts als die kostbare Zeit der Justiz verschwendender Befangenheitsanträge.
    Wobei natürlich bei bis zu etwa 80% aller Richter das Ansehen der Person entscheidend ist. Als Prolet hat man keine Rechte geltend zu machen, weil man es nicht kann. Bis zu etwa 80% aller Richter sind somit bereits befangen.

    Ich frage mich häufig ob viele Richter und Juristen eigentlich schizophren sind?

    Aber zu dieser Erkenntnis ist ja auch Dr. jur. Rolf Lamprecht schon gekommen, dass es nur so sein kann.

    Es geht aber auch genau andersrum, wenn über die Befangenheit der Kollegen entschieden wird:
    Befangenheit mit zweierlei Maß, Beschwerden von Bürgern über Parteilichkeit in der Justiz haben grundsätzlich keine Chance, Der Spiegel 39/1981, 21.09.1981
    Mit zweierlei Maß beurteilen deutsche Richter ihre Unbefangenheit. Ganze Gerichte verweigern sich, wenn über einen Zunftkollegen zu verhandeln ist.

    Wie man an der Entscheidung Befangenheit erkennt:
    Eine Fahrerin fährt mit 120km/h bei erlaubten 60km/h auf ein verunfalltes auf der Fahrbahn stehendes Fahrzeug auf. Die Strasse geht vorher 600m geradeaus und sie ist die einzige die darauf zu fährt.
    1. 3 Mitarbeiter des Ombudsmanns der Versicherungen stellen fest, dass die auffahrende Fahrerin zu 0% haftet. Eine Mithaftung scheidet aus.
    2. Der Ombudsman der Versicherungen stellt perlöhnlich fest, dass 0% Haftung korrekt sind aber ein Mithaftung gegeben sein könnte.
    3. Das AG-Coburg stellt eine 0% Haftung fest.
    4. Das LG-Coburg stellt 2mal ebenfalls 0% Haftung fest.
    Wobei die Richtigkeit der vorhergehenden Entscheidung immer wieder bestätigt und gelobt wird.
    5. 2 Richter am AG-Münster stellen 100% Haftung der auffahrenden Fahrerin fest. Die vorhergehenden Entscheidungen sind dort unbekannt.
    6. Mit der Entscheidung gehts wieder nach Coburg und das AG-Coburg stellt jetzt eine Haftung der auffahrenden Fahrerin von 33% fest.
    7. Das LG-Coburg bestätigt 2mal die Richtigkeit der Entscheidung mit 33%.
    Wobei die Richtigkeit der Entscheidungen der vorhergehenden Kollegen gerne gelobt wird.

    Warum sind jetzt 2 mal am LG-Coburg 33% richtig, denn es können doch auch 0% sein wie vorher immer vollständig korrekt von den Kollegen (insgesamt von 7 Juristen) festgestellt worden ist?

    Null Prozent geht nun schlecht, wenn das AG-Münster konkret 100% Haftung festgestellt hat und mit 33% ist die Abweichng von 0% nicht so gross, dass die Kollegen völlig danebengelegen haben.

    Das Ergebnis stand jeweils immer im Ansehen der nicht anwaltlich vertretenen Proletenperson in Coburg fest und das Ergebnis musste dann auch begründet werden und dazu ist viel regelrechter rechtlicher Schwachsinn zu Papier gebracht worden.
    Die entsprechende Erklärung ist allerdings eine Beleidigung für die man dann in Coburg verfolgt und verurteilt wird von den dortigen Kollegen mit einer „Verurteilungsanordnung“ vom Präsidenten.
    Aber auch das macht keinen Richter dort befangen auch wenn es nicht im geringsten eine Beleidigung darstellt.

    Es sind zuvor schon mehere Befangenheitsanträge gestellt worden, weil gemäss dem Landesjustizministerium Bayern richterliche Nebentätigkeiten geheim sind und das Ministerium teilte mit, dass man prozessuale Möglichkeiten wie einen Befangenheitsantrag stellen müsse um das herauszubekommen.
    Die beklagte Versicherung ist der Grösste Arbeitgeber vor Ort und es werden extrem viele Juristen benötigt.
    Alle Befangenheitsanträge sind vollständig ignoriert worden. Es hat nicht eine Entscheidung gegeben und auch nicht mal eine einzige Dienstliche Stellungnahme.

    In Coburg gibt es nichts was einen Richter auch nur im Ansatz befangen machen könnte.
    Mich würde mal interessieren ob die Richter dort wirklich selbst daran glauben?

  5. Pascal

    Hm. Schwierig. Natürlich kann es sehr gut sein, dass Menschen, die sich auch außerhalb ihrer (ehrenamtlichen) Richter*innentätigkeit mit entsprechenden Fällen parteiisch befassen, das von ihrem Amt und dem jeweiligen zu beurteilenden Fall trennen können. Dennoch muss das nicht unbedingt der Fall sein.

    Ein anderes, in letzter Zeit diskutiertes Beispiel ist der Fall einer Berliner Richterin, die für Mietstreitigkeiten zuständig ist und nebenbei für Eigentümer-Magazine fachliche Beiträge in Richtung „Wie ekle ich am Besten ungeliebte Mieter*innen raus?“ verfasst. Dass man dort besorgt sein kann, finde ich schon nachvollziehbar

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