Archiv für den Monat: Juli 2014

Der (teure) Schuss mit der Soft-Air-Pistole – aus zivilrechtlicher Sicht

entnommen wikimedia.org Urheber Ricce

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Bisher nur eine Pressemitteilung liegt zum OLG Oldenburg Urt. v. 17‌.‌07‌.‌2014‌ – 1 U ‌3‌/‌14‌ – vor, in dem es um die Frage einer Aufsichtspflichtverletzung einer Mutter bei Umgang des Sohnes mit einer Softair-Pistole ging. Nach dem Sachverhalt hatte vier Kinder im Alter zwischen 10 und 13 Jahren auf einem Parkplatz in einer Gemeinde in Ostfriesland gespielt. Der Sohn der Beklagten und ein weiteres Kind hatten Softair-Pistolen dabei und trugen Schutzbrillen. Die beiden anderen Kinder, u.a. der Kläger, hatten einen solchen Schutz nicht. Bei einem vom Sohn der Beklagten abgegebenen Schuss wurde der Kläger am linken Auge verletzt. Er erlitt durch das Geschoss eine schwere Verletzung am linken Auge. Der Haftpflichtversicherer der Mutter hatte den Schaden zu 25 % übernehmen wollen. Die Zivilkammer des LG nahm hingegen eine 100 %-ige Haftung der Mutter an.

Das OLG Oldenburg hat die Entscheidung des LG Aurich zur 100-igen Haftung der Mutter, des „Schützen“, die zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 5.000 €und Ausgleich weiteren Schadensersatzes verurteilt worden ist, bestätigt. Aus der PM:

„Der Senat hat eine Aufsichtspflichtverletzung der allein sorgeberechtigten Mutter festgestellt und dazu ausgeführt, bei Softair-Pistolen handele es sich um Gegenstände mit deutlich erhöhtem Gefahrenpotenzial. Sie könnten zwar regelmäßig keine lebensgefährlichen Verletzungen herbeiführen, seien aber geeignet, nicht unerhebliche Verletzungen an empfindlichen Körperteilen zu verursachen. Hinzu komme als spezifische Gefahr bei Jugendlichen, dass sich beim Einsatz solcher Softair-Waffen ein Wettkampfgefühl bis hin zu einem übersteigerten „Jagdeifer“ entwickeln könne, was zu einem gefährlichen, unüberlegten, ungesteuerten und exzessiven Einsatz solcher „Spielzeugwaffen“ führen kann.

Zumindest für Kinder, die noch keine 14 Jahre alt sind, sei es im Hinblick auf die Gefährlichkeit dieser Gegenstände erforderlich, dass die Sorgeberechtigten eine umfassende Kontrolle über den Einsatz solcher Softair-Waffen seitens ihrer Kinder behalten. Es müsse insbesondere gewährleistet sein, dass zeitnah eingegriffen werden könne, wenn etwa durch die Art des Spiels, die Spielteilnehmer oder deren Verhalten sich konkrete, besondere Gefahren ergeben. Einer solchen umfassenden Aufsichtspflicht mit entsprechender Kontrolldichte ist die Mutter aus Sicht der Richter nicht nachgekommen. Abgesehen von einer angeblich erfolgten allgemeinen Ermahnung, die Softair-Pistole nur nach Anlegung des dafür vorgesehenen Gesichts- bzw. Augenschutzes einzusetzen und auf solche Schutzmaßnahmen auch bei anderen Spielteilnehmern zu bestehen, habe die Mutter ihren Sohn weitgehend unkontrolliert schalten und walten lassen. Dabei habe der Mutter klar sein müssen, dass ihr Sohn diese Anweisungen nur schwer gegenüber anderen Kindern durchsetzen konnte, wenn diese auch gerne an dem aus ihrer Sicht faszinierenden Spiel teilnehmen wollten, gleichwohl aber über keine Schutzausrüstung verfügten.

Ein ins Gewicht fallendes Mitverschulden des verletzten Kindes nahmen die Richter nicht an. Das Kind habe durchaus gewusst, dass das Spiel mit der Softair-Pistole gefährlich war und sich deshalb auch in einer bereits zuvor erlebten Spielsituation mit einer Kiste geschützt. Dennoch sei die Aufsichtspflichtverletzung der Mutter von einem solchen Gewicht, dass das Verhalten des geschädigten Kindes sich nicht erheblich auswirke. Die entscheidende, maßgebende Ursache für die Schädigung des Klägers sei durch den Sohn der Beklagten gesetzt und von einer schwerwiegenden schuldhaften Pflichtverletzung der Mutter verursacht worden, so der Senat.

Neben dem Ausgleich für die bereits erlittenen Schäden muss die Mutter auch künftig damit rechnen, vom verletzten Kind in Anspruch genommen zu werden. Ein Sachverständiger hatte festgestellt, dass durch die Verletzungen das linke Auge lichtempfindlicher geworden ist. Dies kann im Alter zu chronischen Bindehaut-Rötungen führen. Darüber hinaus besteht die Gefahr einer in 10 bis 20 Jahren eintretenden vorzeitigen Linsentrübung, die eine sodann risikoreichere graue Star-Operation zur Folge haben kann. Schließlich kann die Eignung für bestimmte Berufe, beispielsweise im Flugverkehr und in der Seefahrt eingeschränkt sein. Der Senat stellte deshalb fest, dass auch künftig eintretende Schäden von der Mutter zu ersetzen sind.“

Klassischer Fehler XII: Mal wieder letztes Wort nicht gewährt

© J.J.Brown - Fotolia.com

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Über Verfahrensfehler in Zusammenhang mit der Gewährung/Nichtgewährung des letzten Wortes (§ 258 StPO) habe ich hier schon häufiger berichtet (vgl. z.B. Letztes Wort vergessen? Kein Problem. Machen wir es eben noch mal. – So geht es aber nicht., oder: Das letzte und (zunächst auch) das allerletzte Wort – das hat der Angeklagte). Fehler werden in dem Zusammenhang häufig gemacht, wenn nach dem zunächst gewährten letzten Wort – ich will es mal untechnisch ausdrücken – „in der Hauptverhandlung noch irgendetwas passiert“, dann aber dem Angeklagten ggf. nicht noch einmal die Gelegenheit zum letzten Wort gegeben worden ist.

So auch der Geschehensablauf, der dem BGH, Beschl. v. 24.06.2014 – 3 StR 185/14– zugrunde liegt. Da hatten der Angeklagte und der Nebenkläger im Hauptverhandlungstermin v. 16.12.2013  im Adhäsionsverfahren einen Vergleich über die Zahlung von 15.000 € geschlossen, wobei ein Teilbetrag von 5.000 € am 18.12.2013 fällig war. Nachdem dann die Vertreterin der Staatsanwaltschaft und die Verteidiger des Angeklagten an demselben Prozesstag ihre Schlussvorträge gehalten und ihre Anträge gestellt hatten, hatte der Angeklagte das letzte Wort. Am darauf folgenden Sitzungstag, dem 18.12.2013, übergab der Angeklagte an den Nebenkläger 5.000 € in bar. Nach Beratung wurde sodann das Urteil verkündet, ohne dass dem Angeklagten (erneut) das letzte Wort gewährt wurde. Das Urteil enthält dann später die Feststellung der Zahlung von 5.000 €.

Der BGH hebt auf:

Diese Verfahrensweise verstieß gegen § 258 Abs. 2 Halbsatz 2, Abs. 3 StPO.

Im Falle des Wiedereintritts in die Hauptverhandlung müssen die in § 258 StPO vorgeschriebenen Worterteilungen – mithin auch das letzte Wort des Angeklagten im Sinne des § 258 Abs. 2 Halbsatz 2 StPO – wiederholt werden. Ein Wiedereintritt in die Hauptverhandlung setzt keinen Gerichtsbeschluss oder eine sonstige ausdrückliche Anordnung voraus, sondern kann auch stillschweigend geschehen. Er liegt insbesondere bei allen Prozesshandlungen vor, die ihrer Natur nach in den Bereich der Beweisaufnahme gehören (vgl. LR/Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., § 258 Rn. 4 ff., 7). So verhielt es sich hier:

Die sich aus den Urteilsgründen ergebende Feststellung des Landgerichts über die Barzahlung von 5.000 € war ein – selbständiges, nicht nur einen Annex zum Vergleichsschluss darstellendes – zur Beweisaufnahme im „materiellen Sinne“ (vgl. LR/Becker, aaO, § 244 Rn. 3) über die Wiedergutmachung des vom Angeklagten angerichteten Schadens gehörendes Prozessgeschehen. Es führte daher – auch ohne eine förmliche Anordnung der Fortsetzung der Beweisaufnahme – zum Wiedereintritt in die Hauptverhandlung und machte eine Wiederholung der in § 258 StPO vorgeschriebenen Worterteilungen einschließlich der Gewährung des letzten Wortes des Angeklagten erforderlich.

Dieser Rechtsfehler hat die Aufhebung des Strafausspruches zur Folge. Die Nichterteilung des letzten Wortes begründet nicht ausnahmslos die Revision, sondern nur dann, wenn und soweit das Urteil darauf beruht. Dies kann in-des nur in besonderen Ausnahmefällen ausgeschlossen werden (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 1968 – 4 StR 190/68, BGHSt 22, 278, 280 f.; LR/Stuckenberg, aaO, Rn. 60 ff., 69). Vorliegend kann der Senat im Hinblick auf die Beweislage zur Täterschaft des Angeklagten, der diese nach den Gesamtumständen eingeräumt hat, und die Tatsache, dass das nach dem letzten Wort des Angeklagten stattgefundene Prozessgeschehen ausschließlich für die Strafzumessung relevant war, ausschließen, dass der Schuldspruch auf dem Verfahrensverstoß beruht. Dies gilt indes nicht für den Strafausspruch (vgl. BGH, Beschluss vom 13. April 1999 – 4 StR 117/99, NStZ 1999, 473). Dieser bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.

M.E. ist/wäre man als Strafkammer „auf der sicheren Seite“, wenn man immer dann, wenn nach dem letzten Wort „noch etwas passiert“ ist, dem Angeklagten sicherheitshalber noch einmal das letzte Wort gewähren würde. Schaden kann das m.E. jedenfalls nicht.

Schöffin Mitglied bei „Wildwasser e.V.“ – befangen?

© sss78 – Fotolia.com

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In einem beim LG Stade anhängigen Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern hat an der Berufungshauptverhandlung eine Schöffin teilgenommen, die Mitglied bei Wildwasser e.V. und dort früher auch im Vorstand tätig war. Der Angeklagte hat darauf einen Ablehnungsantrag gestützt und dessen Zurückweisung dann mit der Revision geltend gemacht. Das OLG Celle sagt im OLG Celle, Beschl. v. 02.06,.2014 –  31 Ss 22/14: Allein die Mitgliedschaft einer Schöffin bei „Wildwassser e.V.“ begründet auch dann nicht die Besorgnis der Befangenheit, wenn dem Angeklagten sexueller Missbrauch von Kindern zur Last gelegt wird. Aus der Begründung:

b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die unter dem Namen „Wildwasser e.V.“ regional operierenden Vereine, durch „- vermeintlich – professionell ausgebildete Fachfrauen“ tätig werden, die „auf der Grundlage eines feministisch-parteilichen Konzepts“ arbeiten. Soweit die Revision aus diesem Grundkonzept und den Äußerungen der Schöffin gegenüber dem H. Abendblatt die Sorge ableitet, dass die Schöffin sich auch bei Ausübung ihres Richteramtes nicht von dem „Prinzip feministischer Parteilichkeit“ lösen könne, vermag ihr der Senat nicht zu folgen.

Aus den von der Revision zitierten Quellen ergibt sich, dass das vorgenannte Konzept die konkrete Tätigkeit der Beraterinnen des Vereins im Umgang mit den einzelnen Betroffenen prägt. Die Schöffin selbst war nach ihrer dienstlichen Stellungnahme aber zu keinem Zeitpunkt Beraterin oder sonst in die konkrete Bearbeitung einzelner Beratungsfälle eingebunden, sondern hatte als Vorstandsmitglied lediglich organisatorische Aufgaben wie Spendenbeschaffung und Aufarbeitung einer Ausstellung; zum Zeitpunkt der Verhandlung in vorliegender Sache war sie noch „passives“ Mitglied des Vereins. Soweit die Revision geltend macht, aus dem Titel der Ausstellung „Trau dich – trau dir und deinen Gefühlen“ habe sich auch für die Schöffin deutlich ergeben, dass „Ausgangspunkt für die Zuschreibung der Opferrolle durch Wildwasser nicht von den betreuten Personen wahrgenommene Tatsachen, sondern Befindlichkeiten“ seien, lässt sie außer Acht, dass es sich bei der Ausstellung ausweislich des der Revisionsbegründung beigefügten Artikels aus der R. Rundschau um eine Präventionsausstellung handelte, sie also ersichtlich den Zweck hatte, Menschen davor zu bewahren, überhaupt in die Opferrolle zu geraten. Im Übrigen gehören zu den Tatsachen auch innere Tatsachen (vgl. Meyer-Goßner StPO 56. Aufl. § 112 Rn. 22).

Es ist zwar davon auszugehen, dass die Schöffin das Grundkonzept der Beratungstätigkeit des Vereins kennt und befürwortet. Angesichts des Umstandes, dass die Schöffin als Mitglied des Vorstands und erst recht zuletzt als lediglich passives Mitglied nicht mit konkreten Beratungsfällen befasst war, konnte der Angeklagte bei verständiger Betrachtung indes nicht den weitergehenden Schluss ziehen, die Schöffin könne nicht zwischen dem Arbeitskonzept der Beraterinnen des Vereins und ihren eigenen Pflichten als Schöffin differenzieren und werde nicht unvoreingenommen entscheiden.

c) Diese Besorgnis lässt sich auch nicht aus den Äußerungen der Schöffin gegenüber dem H. Abendblatt ableiten. Aus ihnen kann bei verständiger Würdigung nicht geschlossen werden, dass die Schöffin männliche Angeklagte nur als Täter wahrnehme. Die Passage lautet:

„Die Beteiligung von Nichtjuristen an der Rechtsprechung sollte den Einfluss der Obrigkeit verringern; die Schöffen wirkten als Vermittler zwischen Justiz und Bevölkerung. Das sei auch heute noch eine spannende und wichtige Aufgabe, findet P. H., auf die sie sich jedes Mal aufs Neue unvoreingenommen und aufmerksam einlasse. „Zum einen, weil man das dem Angeklagten einfach schuldig ist. Zum anderen, weil es auch gar nicht anders geht. Wenn ich ins Gericht fahre, weiß ich nämlich nichts über das Verfahren, an dem ich als Schöffin beteiligt bin. Was anliegt, wird uns erst fünf Minuten vor Verhandlungsbeginn gesagt, damit wir mit einem unverfälschten neutralen Blickt Tat und Täter beurteilen können.“

Diese Passage lässt im Zusammenhang gelesen keinen Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Schöffin aufkommen. Allein das Abstellen auf die – ersichtlich laienhaft verwendeten – Worte „Tat und Täter“ kommt nicht in Betracht; denn so isoliert betrachtet würde der letzte Satz schon für sich genommen, aber erst Recht in der Zusammenschau mit dem Rest der Passage keinen Sinn ergeben. Wenn die Schöffin mit den Worten „Tat und Täter“ tatsächlich eine für künftige Verfahren bereits vorgefasste Überzeugung von der Schuld eines jeden männlichen Angeklagten zum Ausdruck gebracht hätte, so wäre nicht ersichtlich, was mit dem „unverfälschten neutralen Blick“ gemeint sein sollte, den sie direkt davor erwähnt hat, und worin die Unvoreingenommenheit bestehen sollte, die zuvor in dem in indirekter Rede wiedergegebenen Satz von ihr bekundet worden ist. Auch wäre nicht nachvollziehbar, was sie „dem Angeklagten einfach schuldig“ sein sollte, wenn nicht die zuvor erwähnte Unvoreingenommenheit. Da der Satz in dem von der Revision vertretenen Verständnis auch bedeuten würde, dass die Schöffin in allen Verfahren gegen männliche Angeklagte, also auch solchen, die keine Sexualstraftaten betreffen, voreingenommen ist, wäre zudem ein Zusammenhang mit ihrer Mitgliedschaft im Verein „Wildwasser“ nicht erkennbar.“

Verspätetes Bezahlen von Rechnungen ist teurer geworden

© Marcito - Fotolia.com

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Nun, auch als Straf- und OWi-Rechtler muss man ja gelegentlich mal über den Tellerrand schauen. Und das will ich heute mit dem das „Gesetz zur Bekämp­fung von Zah­lungs­ver­zug und zur Ände­rung des Erneuerbare-Energien-Gesetz”  v. 22.07.2014 tun. Das ist gestern am 29.07.2014 in Kraft getreten. Einer gestrigen Berichterstattung ist mir aber „Der Tag als der Regen kam,…“ dazwischen gekommen. Die Neuregelung setzt eine EU-Richtlinie um und bringt folgende wesentliche Neuerungen:

  • Nach den neuen §§ 271a, 308 Nr. 1 a und b BGB gelten Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die einen Zahlungsaufschub von mehr als 30 Tagen vorsehen, als unangemessen gelten und sind unwirksam. Im Falle von individuellen Vereinbarungen zu Zahlungsfristen wird ein Aufschub von mehr als 60 Tagen für die Begleichung der Rechnung nur noch  wirksam, wenn dies für den Gläubiger nicht „grob unbillig“ ist.
  • Nach dem neuen § 288 Abs. 5 und 6 BGB hat der Gläu­bi­ger gegen den Schuld­ner, der sich im Ver­zug befin­det, einen Anspruch auf Zah­lung einer Pau­schale von 40 €. Die wird (später) auf andere Rechts­ver­fol­gungs­kos­ten ange­rech­net.
  • Der Ver­zugs­zins­satz ist von 8 auf 9 % angehoben worden.
  • Nach der Übergangsregelung in Art 229 i.V.m. § 35 EGBGB sind die Rege­lun­gen auf Schuld­ver­hält­nisse anzu­wen­den, die nach dem 28.07.2014 geschlos­sen werden, also ab dem 29.07.2014.

In der Entscheidung steckt (viel) Geld, oder: Verfahrensgebühr auch bei Rückgewinnungshilfe?

© fotomek - Fotolia.com

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Den OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.04.2014 – 1 Ws 212/13 – muss man als Verteidiger oder sonstiger Verfahrensbeteiligter, der mit Rückgewinnungshilfe im Strafverfahren befasst war, kennen. Denn in der Entscheidung „steckt Geld“. Es geht um die Frage, ob die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG – eine Wertgebühr – auch in den Fällen der Rückgewinnungshilfe gilt und abgerechnet werden kann.  Das ist z.B. von Bedeutung, wenn im Verfahren ein dinglicher Arrest ur Sicherung der Rückgewinnungshilfe erlassen worden ist und der Verteidiger zu dessen Abwendung tätig geworden ist. Die h.M. verneint in den Fällen das Entstehen der Nr. 4142 VV RVG (wegen Rechtsprechungs-Nachweise verweise ich auf die Zitate im OLG-Beschluss). Demgegenüber gehen andere Stimmen in der Rechtsprechung (vgl. auch insoweit den Beschluss) vom Entstehen der Gebühr aus, allerdings ohne dass näher zu begründen.

Das OLG hat sich jetzt der letztgenannten Ansicht angeschlossen und das ausführlich begründet, und zwar – zusammengefasst – wie folgt: Entgegen der h.M. werde auch die anwaltliche Tätigkeit, die sich gegen einen zum Zweck der Rückgewinnungshilfe angeordneten dinglichen Arrest (§ 111b Abs. 5 StPO) richte, von Nr. 4142 VV RVG erfasst. Denn durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 24.10.2006 (BGBl. I S. 2350) sei § 111i StPO mit Wirkung vom 01.01.2007 grundlegend novelliert und in Abs. 2 bis 7 ein staatlicher Auffangrechtserwerb normiert. Seit 01.01.2007 komme es daher für die Frage, ob ein auf der Grundlage eines dinglichen Arrests gepfändeter Vermögensgegenstand dem betroffenen Vermögensinhaber letztlich entzogen werden wird, nicht mehr darauf an, ob der Verletzte in die aufgrund des dinglichen Arrests sichergestellten Vermögenswerte vollstreckt oder hiervon wegen des damit verbundenen Aufwands absehe. Seither unterscheide sich die Pfändung eines Vermögensgegenstandes auf der Grundlage eines (auch) zum Zweck der Rückgewinnungshilfe angeordneten dinglichen Arrests in Intensität und wirtschaftlicher Auswirkung aus der Sicht des Betroffenen nicht mehr wesentlich von der Pfändung eines Vermögensgegenstandes auf der Grundlage eines „nur“ nach §§ 111b Abs. 2, 111d StPO i.V. mit § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB angeordneten dinglichen Arrests bzw. von der Beschlagnahme eines „nur“ dem Verfall unterliegenden Gegenstandes.

Liest sich m.E. gut und man kann sich m.E. den Argumenten des OLG Stuttgart für das Entstehen der Gebühr Nr. 4142 VV RVG kaum verschließen. M.E. wird ein Umdenken in der obergerichtlichen Rechtsprechung und auch in der Literatur einsetzen müssen (auch wir sehen es allerdings in unserem RVG-Kommentar noch anders). Also: Auf in die Diskussion, denn die wird einsetzen, da die Vertreter der Landeskassen die Entscheidung wegen der erheblichen Gebührenansprüche, die über §§ 13, 49 RVG auf die Landeskassen zukommen, nicht gern lesen. Sie werden sich im Zweifel auf die h.M. zu Nr. 4142 VV RVG berufen, die bislang in diesen Fällen das Entstehen der Gebühr Nr. 4142 VV RVG verneint hat. Aber da muss man dann ggf. das Rechtsmittel versuchen.

Und, dass die Entscheidung Verteidigern und/oder Vertretern von Arrestbeteiligten viel Geld bringen kann, zeigt allein schon die jeweilige Höhe der zu sichernden Hauptansprüche, die bei der Wertgebühr die Höhe des Gegenstandswertes bestimmen. Da ist man schnell im sechsstelligen Bereich – wie der OLG Stuttgart-Beschluss zeigt.