Nettostraferwartung – darauf kommt es an

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Nichts wesentlich Neues bringt der OLG Frankfurt, Beschl. v. 03.01.2014 – 1 Ws 206/13. Eines Hinweises wert ist die Entscheidung aber deshalb, weil sie die bei der Anordnung und Aufrechterhaltung eines Haftbefehls für die Beurteilung der Fluchtgefahr zu beachtenden Umstände noch einmal ins Gedächtnis ruft (vgl. dazu eingehend Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 6. Aufl., 2013, Rn. 2557 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung). Dabei ist die Straferwartung ein (maßgebliches) Kriterium, aber sie allein kann die Fluchtgefahr i.d.R. nicht begründen. Daneben sind auch alle anderen Umstände von Bedeutung und abzuwägen, wie z.B. in der Entscheidung das hohe Alter der Angeklagte. Und das OLG weist eben noch einmal darauf hin, dass bei der Ermittlung der vom Beschuldigten/Angeklagten noch zu erwartenden Strafe von der sog. Nettostraferwartung auszugehen ist:

„Auch der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO, auf welchen die Strafkammer die Aufrechterhaltung des Haftbefehls stützt, liegt nicht mehr vor. Fluchtgefahr besteht, wenn die Würdigung der Umstände des Falles es wahrscheinlicher macht, dass sich der Beschuldigte dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde (vgl. Meyer-Goßner a. a. O., § 112 Rdnr. 17). Die nichtrechtskräftige Verurteilung der Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten bietet aber unter Anrechnung der bisher – vom 14.09.2011 bis zum 12.11.2013 – erlittenen Untersuchungshaft von ca. 26 Monaten sowie der nach dem Urteil vom 12.11.2013 anzurechnenden Auslieferungshaftzeiten – vom 16.01.2000 bis zum 22.03.2000 und vom 30.10.2007 bis zum 28.11.2007 – von insgesamt ca. 3 Monaten keinen erheblichen Anreiz mehr, sich dem weiteren Fortgang des Strafverfahrens einschließlich der Strafvollstreckung nicht zur Verfügung zu halten. Bei der Frage der Straferwartung kommt es auf den tatsächlich zu erwartenden Freiheitsentzug an; zu berücksichtigen ist daher, dass die Untersuchungshaft angerechnet wird und ob die Angeklagte mit einer Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung nach § 57 StGB rechnen kann (vgl. Meyer-Goßner a. a. O. Rdnr. 23 m. w. N.). Maßgeblich für die Bewertung des Fluchtanreizes ist damit die Netto-Straferwartung. Die Angeklagte hat aber vorliegend keine weitere Strafvollstreckung mehr zu erwarten. Aufgrund der bisher erlittenen Untersuchungs- und Auslieferungshaft, welche anzurechnen sind hat die Angeklagte bereits ca. 2 Jahre und 5 Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe verbüßt, so dass lediglich noch ca. 1 Jahr und 1 Monat der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe offen stehen. Diese sind nach derzeitigem Sachstand aber bei der Nettostraferwartung nicht zu berücksichtigen, da die Angeklagte hiernach mit einer Aussetzung des Strafrestes nach § 57 Abs. 1 StGB rechnen kann. Der hiermit maßgebliche 2/3-Zeitpunkt – welcher bei einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten nach einer Verbüßung von 2 Jahren und 4 Monaten erreicht ist – bezogen auf die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe ist aber bereits um einen Monat überschritten. Es ist derzeit auch nicht ersichtlich, dass die zwischenzeitlich fast 80 Jahre alte Angeklagte – hinsichtlich derer bei der Entscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB auch zu berücksichtigen sein wird, dass die letzte ihr vorgeworfene Tat vom …19… (Tat zu Ziffer 4. der Anklageschrift vom 24.10.2011) bereits über 35 Jahre zurückliegt – nicht mit einer Reststrafenaussetzung rechnen könnte. Auch die in der Anklageschrift aufgeführte Verurteilung in Land1 im Jahre 19… wegen des Besitzes von Kriegswaffen und Sprengstoff (Tatzeit August 197…) rechtfertigt insoweit keine maßgeblich abweichende Bewertung. In Deutschland ist die Angeklagte nicht vorbestraft.“

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