Klassischer Fehler IX: Einen Angeklagten kann man nicht von der Hauptverhandlung „freistellen“

© sss78 – Fotolia.com

© sss78 – Fotolia.com

Ich habe länger überlegt. Ist es nun ein „klassischer Fehler“ oder nicht, was zur Aufhebung eines Urteils des LG Hamburg durch den BGH, Beschl. v. 06.05.2014 – 5 StR 160/14 geführt hat. Ich habe mich dann für die Antwort „Jein“ entschieden. Ein „klassischer Fehler“ ist sicherlich die dort vom BGH monierte und dann zur Grundlage der Aufhebung gemachte Verhandlung ohne die Angeklagte. Nicht ganz so klassisch ist m.E. die Begründung der Strafkammer, die dazu geführt hatte, dass die Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht anwesend war. Sie hatte die Angeklagte nämlich von der Hauptverhandlung „frei gestellt“. Das habe ich bisher so noch nicht gelesen. Der BGH wohl auch nicht, jedenfalls hat er kurz und zackig aufgehoben, und zwar mit folgenden Ausführungen:

„Die Revision hat mit der Verfahrensrüge Er-folg (§ 349 Abs. 4 StPO), wesentliche Teile der am 30. Juli 2013 begonnenen Hauptverhandlung seien zu Unrecht in Abwesenheit der Angeklagten durchgeführt worden (§ 230 Abs. 1, § 231 Abs. 2, § 338 Nr. 5 StPO).

Insofern hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 1. April 2014 dargelegt:

Die Verfahrensrüge … dringt im Hinblick auf das Geschehen am 21. Ok-tober2013 durch. Das Landgericht hat seine Entscheidung über die Verhandlung ohne die Angeklagte ersichtlich auf § 231 Abs. 2 StPO gestützt. Nach dieser Vorschrift hätte aber nur ohne die Angeklagte verhandelt werden dürfen, wenn sie der Fortsetzung der Hauptverhandlung eigenmächtig ferngeblieben wäre. Eine solche Eigenmächtigkeit hat die Strafkammer nicht dargelegt … Vielmehr hatte das Gericht der Angeklagten die weitere Teilnahme an der Hauptverhandlung ‚freigestellt‘. Die Voraussetzungen des § 231c StPO liegen nicht vor. Die Angeklagte war auch bei einem wesentlichen Teil der Hauptverhandlung – dem Schlussvortrag ihres Verteidigers (vgl. OLG Hamburg StV 1984, 111) – abwesend. Letztlich kann die Beanstandung nicht als ‚verwirkt‘ angesehen werden, da die Verteidigung das in Rede stehende Geschehen nicht provoziert hatte.“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat mit der Bemerkung an, dass der genannte Teil der Hauptverhandlung in deren weiterem Verlauf auch nicht im Beisein der Angeklagten wiederholt worden ist. Der Verfahrensverstoß macht die Aufhebung des Urteils notwendig (§ 338 Nr. 5 StPO).“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert