Archiv für den Monat: Januar 2014

Der Verteidiger im Hamsterrad, oder: Doch Ping-Pong für den Verteidiger

© J.J.Brown - Fotolia.com

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Regelmäßige Leser des Blogs werden sich erinnern, dass ich vor einiger Zeit über die Frage eines Kollegen aus dem LG-Bezirk Aurich berichtet habe, in der es um die Problematik der Erstreckung ging. Es ging im Kern darum, wer für die Erstreckungsentscheidung i.S. des § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG (alt § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG) zuständig ist, wenn die Verbindung der Verfahren durch die Staatsanwaltschaft erfolgt, die Beiordnung des Rechtsanwalts dann aber erst durch das Gericht ausgesprochen wird. Und es ging auch um den Zeitpunkt der erforderlichen Erstreckungsentscheidung (vgl. dazu das erste Posting:  Ich habe da mal eine Frage: Kein Ping-Pong bei der Erstreckungsentscheidung).  Zu der Problematik haben sich dann das AG und das LG Aurich geäußert (vgl. hier: So geht es m.E. nicht, verehrte Frau Kollegin… und Das LG Aurich kann es auch nicht, oder: Auricher Ping-Pong. Beide m.E. falsch. Das LG Aurich aber dann im LG Aurich, Beschl. v. 25.11.2013 –  13 Qs 35/13 –zumindest insofern noch mit dem hoffnungsfroh stimmenden Satz: “Über den Erstreckungsantrag ist erst im Gebührenfestsetzungsverfahren zu entscheiden.”  Ah, eine Entscheidung soll es also geben. Nur, wer und wann?

Inzwischen ist das Verfahren beendet und der Kollege hat seinen Vergütungsfestsetzungsantrag gestellt. Und natürlich gehofft, dass über seinen „Erstreckungsantrag“ entschieden wird. Und die Entscheidung hat er bekommen, und zwar den den AG Aurich, Beschl. v.  21.01.2014 – 5 Ls 210 Js 8603/12 (27/13). Der ist so kurz, dass ich ihn hier im Volltext einstelle:

„In der Strafsache gegen
wegen
wird die dem Rechtsanwalt X. aus der Landeskasse zu erstattende Vergütung festgesetzt auf 862,39 EUR.
Begründung der Absetzungen:
Ein Gebührenanspruch für die vor Anklageerhebung hinzuverbundenen Verfahren besteht nicht. Die Beiordnung erfolgte gem. Beschluß vom 23.09.2013 nach Verbindung. Die Beiordnung erstreckt sich nicht automatisch auch auf die vorherige Tätigkeit des Rechtsanwalts in den verbundenen Verfahren. § 48 Abs. 5 S. 3 RVG.
Die Pauschale für Post und Telekommunikation gem. Nr. 7002 VV RVG beträgt 20,00 €.“

Kurz und m.E. falsch, wobei ich den Hinweis auf den § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG als einen Flüchtigkeitsfehler ansehe; die Erstreckungsregelung befindet sich jetzt in § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG. Falsch m.E. deshalb, weil die Entscheidung keine Entscheidung zur Erstreckung enthält, es sei denn, man wollte die Ablehnung der Festsetzung der in den verbundenen Verfahren entstandenen Gebühren als eine konkludente Erstreckungsentscheidung ansehen. Für die wäre m.E. aber der Rechtspfleger nicht zuständig. Er hätte m.E. die Akten dem Gericht vorlegen müssen, das dann über die Erstreckung hätte entscheiden müssen (s. den Beschluss des LG Aurich). So geht es jedenfalls nicht.

Der Kollege hat natürlich Erinnerung eingelegt. Der Irrsinn Das Ping-Pong-Spiel geht also weiter. Ich bin gespannt, ob der Irrsinn das Verfahren dann jetzt ein Ende hat und das AG über die Erstreckung entscheidet, oder wieder sagt: Ich nicht, denn ich habe nicht verbunden. Dann wird der Kollege sicherlich Beschwerde einlegen und die Sache landet da, wo sie schon einmal war, nämlich beim LG. Das muss dann über die Erstreckung entscheiden, wenn es mit seinem Beschluss ernst macht. Für den Kollegen misslich. Abgesehen von Zeitverlust: Ihm ist dann auch eine Instanz verloren gegangen.

Und: Ceterum censeo: Hier geht es zur Abstimmung Beste Jurablogs Strafrecht 2014 – wir sind dabei, die Abstimmung läuft…

Wertvoller, weil herointrächtiger, Teppich

entnommen wikimedia.org Autor: Rocafort8

entnommen wikimedia.org Autor: Rocafort8

Nach den „Kokain-Pullis“, nun die „Heroin-Teppiche (zu den Pullis s. hier: Kokain-Pullis, oder: Auch so kann man BtM einführen….:. Die Tagespresse (vgl. hier die Nachricht bei Welt-Online) berichtet über eine neue (?), zumindest aber besondere Art der Schmuggelmethode für Heroin. Das war in Perserteppiche eingewebt, die als Luftfracht aus dem Iran gekommen sind. Am Flughafen Leipzig-Halle fiel die „wertvolle“ Fracht dann auf.

Gefunden wurden rund 45 kg Heroin gefunden, die in neun Teppichen versteckt/eingewebt waren. Gesamtwert der Lieferung: Mehrere Millionen €. Also wertvolle Teppiche. 😀

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Zweikampf oder Schlägerei?

© Dan Race - Fotolia.com

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War es eine Beteiligung an einer Schlägerei, waren also die Tatbestandsvoraussetzungen des § 231 StGB erfüllt oder waren es nur Zweikämpfe? Das war die Frage, die der BGH im BGH, Urt. v. ?19?.?12?.?2013?, 4 StR ?347?/?13? beantworten musste und (teilweise) beantwortet hat

a) Als eine für das Tatbestandsmerkmal Schlägerei konstitutive Tätlichkeit können neben zu vollendeten Körperverletzungen führenden Handlungen auch solche in Betracht kommen, die auf deren Herbeiführung abzielen (vgl. BGH, Urteil vom 22. September 1959 – 5 StR 289/59, GA 1960, 213; LK-StGB/ Hanack, 11. Aufl., § 231 Rn. 4; Schönke/Schröder/Stree, StGB, 27. Aufl., § 231 Rn. 3 mwN). Eine Tätlichkeit in diesem Sinn verübt auch, wer sich in Ausübung seines Notwehrrechts gegen einen Angriff in „Trutzwehr“ wendet (BGH, Urteil vom 12. März 1997 – 3 StR 627/96, NStZ 1997, 402, 403; Urteil vom 21. Februar 1961 – 1 StR 624/60, BGHSt 15, 369, 370 f.; Küper, Strafrecht BT, 5. Aufl., S. 246).

Daran gemessen begegnet die Annahme einer Schlägerei durchgreifenden rechtlichen Bedenken……..

b) Mit der Frage, ob es sich bei dem abschließenden Geschehen, bei dem es zu (weiteren) Tätlichkeiten zwischen F. (ein bis zwei Schläge und Tritte) und dem Angeklagten (Messerstich) kam, um einen Teilakt einer bereits zuvor begonnenen und noch fortdauernden einheitlichen tätlichen Auseinandersetzung handelte, hat sich das Landgericht nicht auseinanderge-setzt. Dies versteht sich indes nicht von selbst.

Die für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals Schlägerei erforderlichen wechselseitigen Tätlichkeiten zwischen mehr als zwei Personen müssen nicht gleichzeitig begangen werden (BGH, Urteil vom 12. März 1997 – 3 StR 627/96, NStZ 1997, 402, 403; RG, Urteil vom 15. Oktober 1940 – 1 D 464/40, HRR 1941 Nr. 369). Eine Schlägerei im Sinne des § 231 Abs. 1 1. Alt. StGB kann vielmehr auch anzunehmen sein, wenn nacheinander jeweils nur zwei Personen gleichzeitig wechselseitige Tätlichkeiten verüben, zwischen diesen Vorgängen aber ein so enger innerer Zusammenhang besteht, dass eine Aufspaltung in einzelne „Zweikämpfe“ nicht in Betracht kommt und die Annahme eines einheitlichen Gesamtgeschehens mit mehr als zwei aktiv Beteiligten gerechtfertigt ist (BGH, Urteil vom 12. März 1997 – 3 StR 627/96, NStZ 1997, 402, 403; RG, Urteil vom 15. Oktober 1940 – 1 D 464/40, HRR 1941 Nr. 369; vgl. RG, Urteil vom 24. Februar 1925 – I 61/25, RGSt 59, 107, 108 f. zum von mehreren verübten Angriff; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 231 Rn. 2; NK-StGB/Paeffgen, 3. Aufl., § 231 Rn. 5; Pichler, Beteiligung an einer Schlägerei, 2010, S. 47). Allerdings verliert eine tätliche Auseinandersetzung zwischen mehr als zwei Personen den Charakter einer Schlägerei, wenn sich so viele Beteiligte entfernen, dass nur noch zwei Personen verbleiben, die aufeinander einschlagen oder in ande-rer Weise gegeneinander tätlich sind (RG, Urteil vom 27. September 1938 – 4 D 646/38, JW 1938, 3157; Eisele, ZStW 110 [1998], S. 69, 72; Henke, Jura 1985, 585, 586; Saal, Die Beteiligung an einer Schlägerei, 2005, S. 44).“

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Akteneinsicht im Bußgeldverfahren – Hintergrundinfo, oder: Geht doch

© Avanti/Ralf Poller

© Avanti/Ralf Poller

Ich bin immer dankbar für Hinweise, die ich von Verteidigern auf Verfahrensweisen der Verwaltungsbehörden aber auch auf Änderungen alter Abläufe erhalte. So auch für eine Hintergrundinfo, die mir eine Leser des Blogs hat zukommen lassen. Der Kollege teilt mit:

„…hier mal eine – vielleicht interessante – Hintergrundinfo.

 Das Land Thüringen hat sich bisher immer gewehrt, im Verwaltungsverfahren die BA zu übersenden. Es soll eine Anweisung gegeben haben, die Sache zum Gericht zu geben, dass dann Einsicht gewähren kann – so hat es mir ein Polizist mal unter 4 Augen mitgeteilt.

 Jetzt habe ich eine Akte erhalten, mit der ich für ES 3.0 auf die Homepage von mydrive.ch verwiesen werde. Benutzernamme und Passwort sind auch angegeben. Und  – nach einem ersten „Schnelltest“: – es scheint gut zu funktionieren.

 Es geht also. Das mit dem Urheberrecht scheint man also weder beim Hersteller noch bei den Behörden (noch) ernst zu meinen. Wenn andere Hersteller nachziehen, scheint sich dieses Problem also aufzulösen.“

Also: Geht doch! Und nach dem Aufsatz von Cierniak/Niehaus im DAR-Heft 1/2014 sollte sich auch die OLG-Rechtsprechung ändern. Nicht nur „sollte“. M.E. „muss“ sie sich ändern.

Dazu passt dann ganz gut die heute auf „Die Rezensenten“ veröffentlichte Rezension von Burhoff/Grün (Hrsg.), Messungen im Straßenverkehr, 3. Aufl. Zur Bestellung geht es dann hier :-).

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Tabula rasa beim Starenkasten, oder: Eine besondere Art des Einspruchs/der Verfahrenserledigung

© lassedesignen - Fotolia.com

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Ich habe gerade unter Tabula rasa, oder: Warum klaue ich einen “Starenkasten”? über einen Betroffenen (?) berichtet, der einen Starenkasten geklaut hat. Da stoße ich auf den OLG Braunschweig, Beschl. v. . 18. 10. 2o13 – 1 Ss 6/13. Dem liegt auch eine besondere Art des Einspruchs/der Verfahrenserledigung zugrunde, die sich ein Kraftfahrzeugführer im OLG-Bezirk Braunschweig ausgesucht hat. Der hat dafür allerdings zunächst mal eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten „eingefangen“.

Der (spätere) Angeklagte  war wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung geblitzt worden und befürchtete daher ein Bußgeldverfahren und zudem die  Überprüfung der Wirksamkeit seiner polnischen Fahrerlaubnis. Deshalb hat versucht, „Tabula rasa“ zu machen und hat die Geschwindigkeitsmessanlage in Brand gesetzt, um das darin von ihm gespeicherte Bild unverwertbar zu machen. Das LG Braunschweig hat den Angeklagten deshlab wegen eines Verstoßes gegen § 306 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB verurteilt.

Das OLG Braunschweig sieht das im OLG Braunschweig, Beschl. v. . 18. 10. 2o13 – 1 Ss 6/13 – anders.

  • Es handle sich bei dem Geschehen nur um eine einfache Sachbeschädigung nach § 303 StGB. Der Tatbestand des § 306 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB sei nicht einschlägig, weil eine Geschwindigkeitsmessanlage keine technische Einrichtung sei und mit einer solchen Handlung keine Gemeingefährlichkeit verbunden ist. Für Letzteres sei  maßgebend, ob das Inbrandsetzen der Geschwindigkeitsmessanlage generell als geeignet anzusehen sei, nicht nur den Messanlageneigentümer zu schädigen, sondern auch sonstige Rechtsgüter zu beeinträchtigen. Dies sei bei der Geschwindigkeitsmessanlage nicht der Fall.
  • Auch eine Verurteilung wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung (§ 304 StGB ) konnte nach Auffassung des OLG nicht erfolgen, weil eine Geschwindigkeitsmessanlage kein Gegenstand ist, der zum öffentlichen Nutzen aufgestellt sei. Hierunter fallen nur solche Gegenstände, bei denen anzunehmen ist, dass jedermann aus ihrem Vorhandensein oder ihrem Gebrauch einen unmittelbaren Nutzen ziehen kann. Das sei bei Geschwindigkeitsmessanlagen nicht gegeben.
  • Schließlich hat das OLG auch den Tatbestand der versuchten Unterdrückung technischer Aufzeichnungen (§ 274 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2, Abs. 2 StGB) verneint. Die Vereitelung des staatlichen Bußgeldanspruchs sei kein Nachteil i.S. d. dieser Vorschrift (BGH StraFo 2011, 23).

Trotz der Verurteilung nur wegen einfacher Sachbeschädigung: Das Bußgeldverfahren wäre sicherlich billiger gewesen als das Strafverfahren mit einer strafrechtlichen Verurteilung. Abgesehen davon, dass wegen der Messanlage dem Angeklagten Schadensersatzansprüche in Höhe von rund 40.000 Euro drohen.

Und: Ceterum censeo: Hier geht es zur Abstimmung Beste Jurablogs Strafrecht 2014 – wir sind dabei, die Abstimmung läuft…