„Neigungsbeschluss“ des BGH zur Jugendstrafe

Wer die Rechtsprechung von Revisionsgerichten verfolgt, weiß: Sog. Neigungsbeschlüsse des Revisionsgericht sind immer von Bedeutung, weil sie i.d.R. eine Änderung/Klarstellung der Rechtsprechung andeuten. Das Revisionsgericht teilt quasi vorab schon mal mit, wie es eine bestimmte Frage ggf. demnächst sehen will. So eine Neigungspassage enthält der BGH, Beschl. v. 06.05.2013 – 1 StR 178/13. Die Angeklagte war wegen verschiedener Handlungen zum Nachteil einer Nebenklägerin u.a. wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Jugendstrafe  verurteilt worden. In der Revision ging es u.a. um die Verhängung der Jugendstrafe und deren Bemessung. Dazu der BGH:

a) Der Senat teilt insbesondere nicht die Auffassung der Revision, der Anordnungsgrund der „Schwere der Schuld“ in § 17 Abs. 2 JGG könne grundsätzlich lediglich bei „Kapitalstrafsachen“ in Betracht kommen. Dies entspricht nicht der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die auch außer-halb dessen bei besonders schweren Straftaten, zu denen gravierende Sexualdelikte gehören können (BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2009 – 3 StR 404/09, NStZ-RR 2010, 56 f. und vom 28. September 2010 – 5 StR 330/10, StV 2011, 588 f.), die Verhängung einer allein auf die Schwere der Schuld gegründeten Jugendstrafe zugelassen hat (etwa BGH, Beschluss vom 20. Januar 1998 – 4 StR 656/97, StV 1998, 332, 333; weit. Nachw. bei Radtke in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., 2013, Band 6, JGG § 17 Rn. 67).

b) Im Übrigen neigt der Senat dazu, bereits das Vorliegen eines gewissen Schuldausmaßes allein als Anordnungsgrund einer auf das Merkmal der „Schwere der Schuld“ gestützten Jugendstrafe ohne eine faktische Erziehungsfähigkeit und -bedürftigkeit des jugendlichen oder heranwachsenden Täters genügen zu lassen. Weder der Wortlaut von § 17 Abs. 2 JGG noch dessen Entstehungsgeschichte (vgl. BT-Drucks. I/3264 S. 40 re. Spalte/S. 41 li. Spalte) deuten auf ein kumulatives Erfordernis eines solchen Erziehungsbedürfnisses als Anordnungsvoraussetzung der Jugendstrafe hin. Die in § 18 Abs. 2 JGG enthaltene Vorgabe, bei der Bemessung der Jugendstrafe die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich zu machen, betrifft unmittelbar lediglich die Festsetzung der Dauer einer Jugendstrafe, nicht aber die vorgelagerte, in § 17 Abs. 2 JGG (in Verbindung mit § 5 und § 13 Abs. 1 JGG) geregelte Auswahl der jugendstrafrechtlichen Sanktion. Es entspricht zudem ohnehin der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, im Rahmen der Strafbemessung der Jugendstrafe gemäß § 18 Abs. 2 JGG neben der Erziehungswirksamkeit auch andere Strafzwecke, bei schweren Straftaten vor allem das Erfordernis des gerechten Schuldausgleichs, zu berücksichtigen (BGH, Beschlüsse vom 1. Dezember 1981 – 1 StR 634/81, StV 1982, 121; vom 27. November 1995 – 1 StR 634/95, NStZ 1996, 232 f.; BGH, Urteil vom 23. Oktober 1997 – 5 StR 486/97; Beschluss vom 23. März 2010 – 5 StR 556/09, NStZ-RR 2010, 290, 291). Dem Gedanken des Schuldausgleichs ist insbesondere bei fünf Jahre übersteigenden Jugendstrafen Bedeutung zugemessen worden, weil bei derar-tigen Verbüßungszeiträumen eine (weitere) erzieherische Wirkung bezweifelt wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. November 1995 – 1 StR 634/95, NStZ 1996, 232 f. und vom 20. März 1996 – 3 StR 10/96, StV 1998, 344; siehe aber auch BGH, Beschluss vom 7. Mai 1996 – 4 StR 182/96, NStZ 1996, 496 f.).“

Die zu a) behandelte Frage ist nichts Neues. Aber mit den unter b) aufgeführten Gedanken könnte sich eine Änderung bzw. Klarstellung in der Rechtsprechung andeuten. Die OLG haben das nämlich in der Vergangenheit zum zum Teil anders gesehen und messen dem Merkmal der „Erforderlichkeit“ gerade die Bedeutung bei, dass die Verhängung einer Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld grundsätzlich nur dann zulässig sein soll, wenn dies (auch) aus erzieherischen Gründen erforderlich bzw. geboten ist. Vielleichz demnächst anders?

Man fragt sich nazürlich immer: Warum ein Neigungsbeschluss und warum gerade in dieser Sache. Nun, das weiß man nie. Hier könnte der Grund gewesen sein, dass das LG angesichts drn festgestellten Gesamtumständen der sich über rund 24 Stunden erstreckenden Misshandlungen, Demütigungen und Erniedrigungen der Nebenklägerin zu einer „ungewöhnlich niedrigen Straf“ gekommen ist.

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