Strafzumessung: „Schon aus dem nemo-tenetur-Grundsatz…“

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Manchmal versteht man nicht, warum eigentlich im Grunde einfache Strafzumessungsgrundsätze, die sich wie ein roter Faden durch die Rechtsprechung des BGH ziehen, auf die der BGH also immer wieder hinweist, von den Tatgerichten nicht beachtet werden. So in einem Urteil des LG Essen, das der BGH, Beschl. v. 22.05.2013 – 4 StR 151/13 aufgehoben hat.

Es geht um die Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und die Frage: Minder schwerer Fall, ja oder nein?  Den hatte das LG abgelehnt mit der Erwägung „für die Annahme eines minder schweren Falles spreche zwar das teilweise Geständnis des Angeklagten; es könne allerdings nicht übersehen werden, dass dieser zugleich versucht habe, durch seine Einlassung die Folgen seiner Tat zu verharmlosen, indem er entgegen den späteren Feststellungen im angefochtenen Urteil behauptet habe, er hätte das Kokain wegen der (angeblich) schlechten Qualität wieder zurückerhalten. In Bezug auf alle festgestellten Taten hat das Landgericht ferner ausgeführt, gegen die Annahme minder schwerer Fälle spreche „letztlich“ der Umstand, dass der Angeklagte äußerst konspirativ vorgegangen sei. Die Strafkammer sei aufgrund einer Gesamtschau davon überzeugt, dass der Angeklagte offenbar von Anfang an beabsichtigt habe, die Ermittlungsmaßnahmen der Polizei in eine falsche Richtung zu lenken. Die polizeilichen Ermittlungen seien dadurch erheblich erschwert worden. Beispielsweise habe die wahre Identität des Angeklagten erst am 1. Februar 2012 durch die Polizei festgestellt werden können, nachdem der Telefonanschluss des Angeklagten für etwa 14 Tage überwacht und die Koordinaten seines Wohnsitzes unter Auswertung der Gesprächsinhalte aufwändig festgestellt worden seien.“

Dass das nicht gut gehen konnte, liegt m.E. auf der Hand. Der BGH hebt dann auch ohne viel Hin und Her den Strafausspruch auf:

„2. Schon aus dem nemo-tenetur-Grundsatz (§§ 136 Abs. 1 Satz 2, 163a Abs. 4 Satz 2, 243 Abs. 5 Satz 1 StPO) folgt, dass der Beschuldigte in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht verpflichtet ist, aktiv die Sachaufklärung zu fördern und an seiner eigenen Überführung mitzuwirken (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 364/03, BGHSt 49, 56, 59 f.). Dem-entsprechend darf ihm mangelnde Mitwirkung an der Sachaufklärung nicht strafschärfend angelastet werden (BGH, Beschluss vom 8. November 1995 – 2 StR 527/95, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 17 mwN). Darüber hinaus kann auch Prozessverhalten, mit dem der Angeklagte – ohne die Grenzen zulässiger Verteidigung zu überschreiten – den ihm drohenden Schuldspruch abzuwenden versucht, grundsätzlich nicht straferschwerend berücksichtigt werden, da hierin – unbeschadet einer Verletzung des nemo-tenetur-Grundsatzes – eine Beeinträchtigung seines Rechts auf Verteidigung läge. Dies gilt nicht nur dann, wenn er eine unrichtige Einlassung unverändert aufrechterhält, sondern auch, wenn er dem Anklagevorwurf mit jedenfalls teil-weise wahrheitswidrigem Vorbringen zu begegnen sucht (BGH, Beschluss vom 8. November 1995 aaO).

Gemessen daran kann der Senat vor dem Hintergrund des Gesamtzusammenhangs der Strafzumessungserwägungen nicht ausschließen, dass die Strafrahmenwahl des Landgerichts im Hinblick auf beide Umstände maßgeblich durch eine unzulässige Bewertung des Verteidigungsverhaltens des Angeklagten beeinflusst ist. Dies gilt umso mehr, als die von der Strafkammer herangezogene Erwägung, durch die äußerst konspirative Vorgehensweise des Angeklagten seien die polizeilichen Ermittlungen erheblich erschwert worden, mit dem bloßen Hinweis auf eine zweiwöchige Telefonüberwachung und die darauf gestützte Bestimmung der Wohnsitz-Koordinaten nicht hinreichend mit Tatsachen belegt ist.“

Hätte man drauf kommen können, oder? Die Formulierung „Schon aus dem nemo-tenetur-Grundsatz…“ zeigt sehr deutlich, was der BGH von landgerichtlichen Erwägungen hält. Wenn ein Revisionsgericht mit „schon“ formuliert, ist das schon nie so schön :-).

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