Archiv für den Monat: Juli 2012

Die elektronische Fußfessel – wann ist sie zulässig?

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In der Diskussion ist immer wieder die Frage der Zulässigkeit der elektronischen Fußfessel. Damit haben sich in der letzten Zeit mehrere OLG befasst. Dazu zählt jetzt auch das OLG Bamberg, das im OLG Bamberg, Beschl. v. 15.03. 2012 – 1 Ws 138/12 – umfassend zur Zulässigkeit der elektronischen Fußfessel als Weisung  im Rahmen der Führungsaufsicht Stellung nimmt. In den Leitsätzen heißt es dazu:

„…

4. Eine im Rahmen der Führungsaufsicht nach § 68 b I 1 Nr. 12, S. 3 StGB erteilte Weisung zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung („elektronische Fußfessel“) dient nicht nur der Überwachung aufenthaltsbezogener Weisungen, sondern soll spezialpräventiv auch die Eigenkontrolle des Betroffenen stärken. Zudem kann die Überwachung es den zuständigen Behörden im Fall einer akuten und erheblichen Gefährdungslage für Dritte erleichtern, rechtzeitig einzuschreiten (u.a. Anschluss an OLG Rostock NStZ 2011, 521 ff.). Nach dem Gesetzeszweck und dem Willen des Gesetzgebers kann deshalb die Weisung auch unabhängig von aufenthaltsbezogenen Weisungen erteilt werden, wenn das Gericht davon überzeugt ist, dass auch und allein die Möglichkeit der Datenverwendung nach § 463 a IV 2 Nr. 4 und Nr. 5 StPO den Betroffenen von der erneuten Begehung schwerer Straftaten iSd. § 66 III 1 StGB abhalten kann.

5. Auch Weisungen zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung dürfen keine unzumutbaren Anforderungen an die Lebensführung des Beschwerdeführers iSv. § 68 b III StGB stellen. Die Weisungen müssen in einem Mindestmaß stützend wirken und dürfen die Resozialisierungspotentiale der verurteilten Person nicht aus reinen Überwachungsinteressen heraus überfordern oder gefährden.::“

Der Beschluss spricht auch andere Weisungen an. Darauf komme ich noch zurück.

 


Zunächst mal ein paar Euros „Dealgeld“ gerettet, oder: Manchmal denkt der BGH auch wirtschaftlich

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Zunächst mal 500 € gerettet hat eine Revision gegen ein landgerichtliches Urteil, durch das der Angeklagte wegen eines Verstoßes gegen das BtMG verurteilt worden ist. Außerdem hatte die Strafkammer 500 € „Dealgeld“ für verfallen erklärt. Hinsichtlich des Dealgeldes hatte die Revision Erfolg. Dem BGH, Beschl. v. 05.07.2012 – 3 StR 210/12 – reicht diese „Feststellung“ für die Verfallserklärung nicht aus:

„Die auf § 73 StGB gestützte Verfallsanordnung der beim Angeklagten sichergestellten 500 € hat keinen Bestand. Nach den Feststellungen handelte es sich hierbei um „Dealgeld“. Allein mit dieser pauschalen, auch in der Beweiswürdigung („Kurierlohn oder Spesen zur Abwicklung der Schmuggelfahrt“) nicht hinreichend konkretisierten Bezeichnung sind die Voraussetzungen des § 73 StGB nicht belegt. Die Anordnung des Verfalls nach dieser Vorschrift wäre etwa in Betracht gekommen, wenn es sich bei den 500 € um Kurierlohn gehandelt hätte, den der Angeklagte von seinem Auftraggeber bereits vor der Einkaufsfahrt für die hier abgeurteilte Tat erhielt. Dies legen die bisherigen Feststellungen, die sich zu Absprachen zwischen dem Angeklagten und einem Auftraggeber nicht verhalten, allerdings nicht nahe. Nicht ausgeschlossen erscheint deshalb auch, dass das „Dealgeld“ aus weiteren, hier nicht abgeurteilten Betäubungsmittelstraftaten des Angeklagten stammt und somit dem erweiterten Verfall nach § 73d StGB unterliegen könnte (BGH, Urteil vom 7. Juli 2011 – 3 StR 144/11, BGHR StGB § 73d Anwendungsbereich 3). Die insoweit notwendigen Feststellungen enthält das Urteil allerdings ebenfalls nicht. Schließlich kommt in Betracht, dass die 500 € – etwa als Reisespesen – der Durchführung der Tat dienen sollten. In diesem Fall wären sie nicht nach § 73 StGB abzuschöpfen; vielmehr unterlägen sie als Tatmittel möglicherweise der Einziehung nach § 74 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juli 2002 – 3 StR 240/02, BGHR StGB § 73 Erlangtes 3; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 74 Rn. 8). Die entsprechende Anordnung stünde dann – bei Vorliegen aller Voraussetzungen – im Ermessen des Tatgerichts.

Vor diesem Hintergrund versetzt die mehrdeutige Feststellung, bei den sichergestellten 500 € habe es sich um „Dealgeld“ gehandelt, den Senat hier nicht in die Lage, in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO selbst auf eine bestimmte Rechtsfolge zu erkennen. Die Sache muss deshalb insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden. Das neue Tatgericht wird allerdings zur Vermeidung eines unverhältnismäßigen Aufwands auch erwägen können, mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft gemäß §§ 430, 442 StPO die Verfolgung der Tat auf die anderen Rechtsfolgen zu beschränken.“

Der Hinweis im zweiten Absatz bedeutet: Macht jetzt bloß nicht für die 500 € eine neue Hauptverhandlung. Kosten und Nutzen stehen in keinem angemessenen Verhältnis. Manchmal denkt der BGH eben auch wirtschaftlich.

 

Haftungsfall Wettervorhersage – Ein Staatsexamen mitten im Sommerloch

Unter der Überschrift „Haftungsfall Wettervorhersage Ein Staatsexamen mitten im Sommerloch“ berichtet LTO gerade über einen möglichen Prüfungsfall in der mündlichen Prüfung im Zivilrecht.

Ausgangspunkt ist ein Fall aus der Tagespresse, der den lockeren Einstieg ins Examen bietet?

Den Rat: Immer schön Zeitung lesen vor der mündlichen Prüfung?, kann ich nur weiter geben.

Und wenn ich den Fall lese: Gut, dass ich nicht mehr in die mündliche Prüfung muss.

Anleitung zum Urteilschreiben vom BGH: So hätte ich es gerne

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Immer nur das Schimpfen auf die LG bringt es auch nicht. Man muss auch mal sehen, dass die Strafkammern es so einfach auch nicht haben. Zumal der BGH nun auch noch Schreib- bzw. Gliederungsvorlagen gibt. Im BGH, Beschl. v. 19.06.2012 – 3 StR 124/12 – sagt der 3. Strafsenat nämlich, wie er es in Punktesachen gerne hätte:

„4. Das angefochtene Urteil hat unter lediglich einem Gliederungspunkt fünf (bei zutreffender Würdigung: vier) selbständige Taten festgestellt. Das gibt dem Senat Anlass zu dem Hinweis, dass es sich in Punktesachen aus Gründen der Übersichtlichkeit stets empfiehlt, die Einzelfälle jeweils mit einer Ordnungszahl zu versehen, die den jeweiligen Einzelfall bei den Feststellungen zur Sache, bei der Beweiswürdigung, bei der rechtlichen Würdigung, bei der Strafzumessung und bei weiteren Sanktionsentscheidungen gleichermaßen kennzeichnet (vgl. BGH, Beschluss vom 28. November 2000 – 5 StR 453/00, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 12).

Frage, die sich daran anknüpft: Und was ist, wenn die Strafkammer sich nicht an diese Vorgaben hält? Wird dann aufgehoben? Gibt es den Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht mehr?

Der Verteidiger sollte sich auf der Grundlage dieses Hinweises angewöhnen, sein Revisionsvorbringen vielleicht ebenso zu gliedern wie die Kammer das Urteil gegliedert hat. Dann findet der BGH besser, worauf es ankommt. Nicht, dass er suchen muss. Das will er offenbar nicht. 🙂

Fahrerlaubnis für „einäugige“ Menschen? – darüber entscheidet demnächst der EuGH

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Der EuGH hat demnächst mal wieder über eine deutsche Fahrerlaubnisfrage zu entscheiden. Allerdings geht es nicht um den Dauerbrenner „Anerkennung einer ausländischen Fahrerlaubnis“, sondern um die Frage, ob ein stark sehbehinderter/fehlsichtiger Mensch eine Fahrerlaubnis bekommen kann oder nicht. Diese Frage hat der VGH Bayern mit Beschl. v. 05.07.2012 – 11 BV 1764/11 – denm EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.

In der Meldung, die ich dazu bei Jurion gefunden habe, heißt es:

„Mit Beschluss hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) ein Verfahren ausgesetzt, in dem ein stark fehlsichtiger Mensch (Sehschärfe auf dem einen Auge unter 0,1) eine Fahrerlaubnis für die LKW-Klassen C1 und C1E (3,5 bis 7,5 t) begehrt. Dem EuGH wurde die Frage vorgelegt, ob Bestimmungen der aktuell geltenden europäischen Führerscheinrichtlinie mit der europäischen Grundrechtecharta vereinbar sind.

Nach Auffassung des BayVGH steht der Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen C1 und C1E an den Kläger eine Vorschrift des deutschen Rechts entgegen, mit der Bestimmungen der europäischen Führerscheinrichtlinie umgesetzt werden. Diese Vorschrift sei jedoch teilweise ungültig, weil sie unter bestimmten, beim Kläger (und bei zahlreichen anderen betroffenen Personen) erfüllten Voraussetzungen in Widerspruch vor allem zu dem Grundrecht stehe, nicht wegen einer Behinderung benachteiligt zu werden.

Die in Rede stehende deutsche Vorschrift fordert, dass folgende Sehschärfewerte nicht unterschritten werden: Sehschärfe des besseren Auges oder beidäugige Sehschärfe: 0,8, Sehschärfe des schlechteren Auges: 0,5. In Einzelfällen kann unter Berücksichtigung von Fahrerfahrung und Fahrzeugnutzung der Visus des schlechteren Auges für die Klassen C, CE, C1, C1E unter 0,5 liegen, ein Wert von 0,1 darf nicht unterschritten werden. Im Berufungsverfahren (vor dem Verwaltungsgericht Regensburg war die Klage erfolglos geblieben) hat der BayVGH Gutachten von zwei augenärztlichen Sachverständigen eingeholt. Danach bestehe kein Anlass, Menschen mit einer einseitigen Sehschärfe unter 0,1 die Fahrerlaubnis für die Klassen C1 und C1E zu versagen, wenn die folgenden drei Voraussetzungen erfüllt seien: Es müsse sich um beidäugig sehende Personen handeln (d.h. nicht anatomisch einäugig, beide anatomisch vorhandenen Augen nehmen am Sehvorgang teil), die Betroffenen müssten auf jedem Auge ein normales Gesichtsfeld haben, und die Betroffenen müssten in der Lage sein, ein bei ihnen nicht vorhandenes räumliches Sehvermögen vollständig zu kompensieren.

Da mit der deutschen Rechtsvorschrift die europäische Führerscheinrichtlinie umgesetzt wird und ein nationales Gericht europäisches Recht nicht verwerfen darf, stellt der BayVGH dem EuGH folgende Frage zur Vereinbarkeit der EU-Führerscheinrichtlinie mit der EUGrundrechtecharta: „Ist die Nummer 6.4 des Anhangs III der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (ABl L 403 vom 30.12.2006, S. 18) in der Fassung der Richtlinie 2009/113/EG der Kommission vom 25. August 2009 (ABl L 223 vom 26.8.2009, S. 31) insoweit mit Art. 20, Art. 21 Abs. 1 und Art. 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar, als diese Vorschrift – ohne die Möglichkeit einer Ausnahme vorzusehen – von Bewerbern um eine Fahrerlaubnis der Klassen C1 und C1E auch dann eine Mindestsehschärfe von 0,1 auf dem schlechteren Auge verlangt, wenn diese Personen beidäugig sehen und auf beiden Augen über ein normales Gesichtsfeld verfügen?“ Nach Beantwortung dieser Frage durch den EuGH wird das Berufungsverfahren vor dem BayVGH fortgesetzt werden.“