Archiv für den Monat: Mai 2012

Strafvereitelung des Strafverteidigers – Wann ist der Rat zu „Selbstschutzmaßnahmen“ des Beschuldigten strafbar?

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Die Strafvereitelung des Strafverteidigers ist ein Thema, das von erheblicher praktischer Relevanz ist. Daher verdient der OLG Nürnberg, Beschl. v. 12.03.2012 – 1 St OLG Ss 272/11 -Beachtung, über die wir demnächst auch im StRR berichten werden.

Zum Sachverhalt: Der angeklagte Rechtsanwalt war Verteidiger eines wegen eines Verstoßes gegen das BtMG angeklagten Mandanten. Im Anschluss an eine Sitzung eröffnete er diesen, dass es für ihn nicht gut aussehe und es deshalb an der Zeit wäre, die Verteidigungsstrategie zu ändern, denn es sei demnächst mit einer belastenden Aussage des Mitangeklagten H zu rechnen. Er forderte von sich aus seinen Mandanten auf, den H fälschlicherweise einer 50:50-Beteiligung an den Rauschgiftdelikten zu bezichtigen und dazu die im Raum stehenden Mengen des gehandelten Rauschgifts zu erhöhen. Der H sollte auf diese Weise in ein schiefes Licht gerückt werden, wovon sich der Verteidiger eine Einbuße der Glaubwürdigkeit der den G belastenden Angaben des H und verbunden damit eine mildere Strafe für seinen Mandanten versprach. Zusätzlich forderte er den G auf, auch der weiteren Mitangeklagten L „etwas hineinzudrücken“, also diese mit falschen Vorwürfen zu belasten, um auf diese Weise deren Glaubwürdigkeit zu erschüttern und dadurch eine Strafmilderung für seinen Mandanten zu bewirken. In einer Art „Brainstorming“ erörterte er dazu mit seinem Mandanten die Konstruktion möglicher Sachverhaltsvarianten. Im Anschluss daran vereinbarte der Strafverteidiger einen polizeilichen Vernehmungstermin. Vor der Vernehmung besprach er vertraulich mit seinem Mandanten dessen beabsichtigte Aussage, die – wie der Verteidiger wusste – zwar falsch war, aber von ihm als „gute Story“ angesehen wurde. In der Vernehmung machte der G die falschen Aussagen in Anwesenheit des Verteidigers.

Das OLG hat das landgerichtliche Urteil im Strafausspruch aufgehoben; das LG hatte den Verteidiger wegen versuchter Strafvereitelung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf ohne Bewährung verurteilt. Den Schuldspruch hat das OLG bestätigt. Das OLG argumentiert wie folgt:

  • Grundsätzlich darf der Verteidiger alles tun, was in gesetzlich nicht zu beanstandener Weise seinem Mandanten nützt.  Hier hat der Verteidiger aber, was vom OLG zutreffend festgestellt wird, die Grenzen des Zulässigen klar überschritten.
  • Aus dieser Feststellung folgt für das OLG aber noch nicht die Strafbarkeit des Verteidigers, sondern erst durch die anschließende Bejahung täterschaftlichen Handelns des Verteidigers. Damit bekennt sich das OLG Nürnberg ausdrücklich zur Abgrenzung nach den Regeln der Tatherrschaftslehre und folgt dabei der von einem Teil des Schrifttums vertretenen Theorie von der straflosen Veranlassung zum Selbstschutz . Demnach handelt es sich um bloße straflose Teilnahme an der Selbstbegünstigung, wenn der Verteidiger den Vortäter zu Selbstschutznahmen auffordere oder ihn darin bestärke. Dagegen ist er Täter der Strafvereitelung, wenn er den Mandanten eigenständig sachlichen Beistand in Form physischer oder intellektueller Hilfe gewährt, also z.B. konkrete Hilfe, Ratschläge oder Tipps gibt. Und das war hier schon durch das eigenständige Erfinden von Lügen der Fall. Auf die späteren Akte der Vorbereitung der polizeilichen Vernehmung bzw. auf die Teilnahme an derselben durch den Verteidiger, worauf das OLG abstellt, kam es m.E. gar nicht mehr an..

Ablehnung (beim BGH) – zeitlich beschränkt

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Der 1. Strafsenat des BGH hat jetzt im BGH, Beschl. v. 02.05.2012 – 1 StR 152/11 (noch einmal) darauf hingewiesen, dass für die Ablehnung der Richter wegen Besorgnis der Befangenheit bei der Entscheidung im Beschlussweg (§ 349 Abs. 2 StPO), die heute die Regel ist, die zeitliche Schranke des § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO gilt. Ablehnung also nur so lange, wie die Entscheidung nicht ergangen ist. Und das kann man auch nicht damit umgehen, dass das Ablehnungsgesuch mit einer Anhörungsrüge (§ 356a StPO) verbunden wird, wenn eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht vorliegt:

„1. Das Ablehnungsgesuch des Verurteilten ist verspätet und daher unzulässig. Entscheidet das Gericht außerhalb der Hauptverhandlung im Beschlusswege (hier gemäß § 349 Abs. 2 StPO), so kann ein Ablehnungsgesuch in entsprechender Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO nur so lange statthaft vorgebracht werden, bis die Entscheidung ergangen ist (BGH, Beschluss vom 13. Februar 2007 – 3 StR 425/06, BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 17; BGH, Beschluss vom 7. August 2007 – 4 StR 142/07, NStZ 2008, 55; BGH, Beschluss vom 19. August 2010 – 4 StR 657/09). Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn die Ablehnung mit einem Antrag nach § 356a StPO verbunden wird, der sich, wie auch im vorliegenden Fall (s. unten 2.), deswegen als unbegründet erweist, weil die gerügte Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG nicht vorliegt, so dass insoweit nicht mehr in eine erneute Sachprüfung einzutreten ist.“

Gilt natürlich nicht nur beim BGH, sondern auch in allen anderen vergleichbaren Fällen.

 

Beweisantrag: Vergesst die konkrete Beweistatsache nicht

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Nur in einem Zusatz behandelt der BGH, Beschl. v.15.05.2012 – 3 StR 66/12 – eine für die Praxis wichtige Frage, bei der in der Praxis immer wieder Fehler gemacht werden, nämlich die ordnungsgemäße Stellung eines Beweisantrages. Dazu der 3. Strafsenat kurz:

„Zu der Rüge, das Landgericht habe zu Unrecht die Anträge der Angeklagten abgelehnt, die von den Verletzungen des Geschädigten F. G. gefertigten Lichtbilder einer rechtsmedizinischen Begutachtung zu unterziehen, bemerkt der Senat ergänzend:
In der Begründung des Antrags führen die Beschwerdeführer aus, dass die in den Lichtbildern dokumentierten Verletzungen „nicht mit dendurch den Zeugen geschilderten Tathandlungen vereinbar sind“; nach diesen Schilderungen „müsste ein wesentlich anderes Verletzungsbild unmittelbar nach der Tat erkennbar und diagnostizierbar gewesen sein“. Welche äußerlich sichtbaren Verletzungen durch die Tathandlungen zu erwarten gewesen wären, bleibt indes offen. Zu Recht ist das Landgericht deshalb davon ausgegangen, dass die Beschwerdeführer mangels Bezeichnung einer konkreten Beweistatsache keinen Beweisantrag gestellt haben.
Zwar rügen die Beschwerdeführer auch, das Landgericht habe durch die Nichterhebung des Beweises seine Aufklärungspflicht verletzt (§ 244 Abs. 2 StPO). Insoweit sind ihre Rügen jedoch unzulässig, denn sie legen gleichermaßen nicht dar, zu welchen konkreten Aussagen der rechtsmedizinische Sachverständige gelangt wäre.

Also: Konkrete Beweistatsache nicht vergessen.

DNA-Gutachten durch den BGH – geht das?

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Man ist erstaunt, wenn man das Procedere liest, dass dem BGH, Beschl. v. 25.04.2012 – 5 StR 444/11 zugrunde liegt und das der BGH in seinem Beschluss dann wie folgt darstellt:

„a) Dem in die Hauptverhandlung eingeführten Sachverständigengutachten des Landeskriminalamts Niedersachsen und der Zeugenaussage des ermittelnden KHK B. zufolge war einer Person mit den Personalien des Angeklagten im Jahre 2008 in Umsetzung einer Anordnung nach § 81g StPO eine Speichelprobe entnommen, anhand dieser ein DNA-Identifizierungsmuster erstellt, das Material allerdings wegen der vorangegangenen Notierung eines Aliasnamens – behördlicher Übung folgend – unter der polizeilichen Führungspersonalie „S. D. geb. 1982“ in die DNA-Analyse-Dateieingestellt worden. Ausweislich eines Gutachtens des hessischen Landeskriminalamtes war am Tatort im Fall 1 der Urteilsgründe eine Blutspur („Wattetupfer Nr. 1“) gesichert worden, die dasselbe DNA-Identifizierungsmuster aufwies wie das unter den Personalien des „S. D. geb. 1982“ gespeicherte.

Die Verteidigung hat beantragt, „ein DNA-Identifizierungsmuster des Angeklagten“ und ein „rechtsmedizinisches Sachverständigengutachten einzuholen“. Das Gutachten werde ergeben, „dass das DNA-Identifizierungsmuster des Angeklagten nicht mit den unter den Personalien ‚S. D. geb. 1982‘ gespeicherten Daten identisch ist“.

Die Strafkammer hat diesen Antrag unter Berufung auf § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, aufgrund von Gutachten des Landeskriminalamtes Niedersachsen vom 22. März 2011, betreffend das unter den Personalien des „S. D. geb. 1982“ gespeicherte DNA-Identifizierungsmuster, und des hessischen Landeskriminalamtes vom 31. März 2011 zu dessen Vergleich mit der Tatortspur sei erwiesen, dass „der Angeklagte (Herr S. D. geb. 1982)“ Verursacher der Tatortspur sei, so dass das Gegenteil der behaupteten Tatsache erwiesen sei. Der Einholung eines weiteren Gutachtens bedürfe es nicht. Insbesondere gehe das Gutach-ten nicht von unzutreffenden Voraussetzungen aus. Bei dem im Gutachten des Landeskriminalamtes Niedersachsen untersuchten Material handele es sich um solches, das vom Angeklagten stamme. Der Zeuge KHK B. habe glaubhaft angegeben, dass im damaligen Ermittlungsverfahren der Staatanwaltschaft Braunschweig im Rahmen erkennungsdienstlicher Erfassung eine Speichelprobe vom Angeklagten genommen und unter Aliaspersonalien des Angeklagten abgelegt worden sei, weil dessen 2008 abgenommene Fingerabdrücke identisch gewesen seien mit unter jenem Aliasnamen im Jahre 2004 abgenommenen Fingerabdrücken. Der Zeuge KHK B. habe den Angeklagten im Hauptverhandlungstermin als diejenige Person wiedererkannt, der damals die Speichelprobe entnommen wurde. Auch die Inaugenscheinnahme eines Lichtbildes von der 2008 erkennungsdienst-lich behandelten Person habe deren Identität mit dem Angeklagten ergeben.“

Was macht der BGH? Er gibt die Anregung im Revisionsverfahren dem Angeklagten eine neue DNA-Probe zu entnehmen, deren Begutachtung dann Übereinstimmung sowohl mit der unter den Aliaspersonalien abgelegten Probe als auch mit der Tatortspur erbracht hat.

Und dann? Dann wird die Revision verworfen. Denn der BGH vermutete hinter dem Beweisantrag wegen der „erdrückenden Beweislage“ eine bewusst wahrheitswidrige Behauptung des Angeklagten und hat das durch das SV-Gutachten abgeklärt mit der Folge, dass er dann den Antrag nicht mehr als „Beweisantrag“ ansieht:

Der Senat hat hierzu das erwähnte Sachverständigengutachten eingeholt (vgl. zur Möglichkeit solchen Vorgehens im Revisionsrechtszug, bislang freilich in etwas anders gelagerten Fallkonstellationen: BGH, Urteile vom 24. November 1992 – 5 StR 500/92, BGHSt 39, 49, 53; 29. April 1997– 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66, 72; 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 166 f.; 22. April 2004 – 5 StR 534/02, NStZ-RR 2004, 270, 271; 15. Februar 2005 – 1 StR 91/04, StV 2005, 374). Dadurch hat sich der Verdacht sicher bestätigt. Dementsprechend handelt es sich bei dem Antrag, dessen Bescheidung die Revision beanstandet, nicht um einen nach Maßgabe des § 244 Abs. 3, 4 und 6 StPO zu behandelnden Beweisantrag, sondern um einen tatsächlich nicht zum Zwecke der Wahrheitsermittlung, sondern sachwidriger Prozesstaktik gestellten missbräuchlichen Scheinbeweisantrag. Es fehlt daher erwiesenermaßen an einer Verletzung des Beweisantragsrechts.

Also: Freibeweisverfahren (?). Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob das mit der bisherigen Rechtsprechung des BGH übereinstimmt. Das sieht der Senat auch, vertieft das aber nicht weiter.

Er hat es geschafft – unser forscher Peter, und der nächste Akt kommt bestimmt

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Er hat es geschafft – unser forscher Peter. Peter Ramsauer, unser Verkehrsminister beherrscht nämlich mit seinem vorgezogenen Sommerlochtheater mal wieder die Titelseiten oder die online- Berichte, wie z.B. hier. Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll. Geschickt platziert das Ganze, das muss man dem Verkehrsminister ja lassen. Kurz vor den Pfingsttagen hatte er seine Kettenhunde = Meinungen = Ankündigungen von der Leine gelassen. Da war ihm die Aufmerksamkeit der Tagespresse sicher.

Und in der Sache: Die angekündigte/angedachte Vignette – das hatten wir doch schon alles mehrmals und es kommt immer wieder – alle Jahre im Sommer. In meinen Augen nichts anderes als eine verkappte/versteckte Steuererhöhung, denn ich habe an keiner Stelle gelesen, dass dafür an anderen Stellen Abgaben/Steuern gesenkt werden sollen.

Und die „Punktefrage„. Die Einteilung der der Punkte zu überdenken, ist sicherlich richtig, da man die Vielzahl möglicher Verfehlungen im Straßenverkehr nicht mit einem „System“ erfassen kann, das nur ein oder zwei Punkte vorsieht. Damit sind erforderliche Abstufungen nicht oder kaum möglich. Aber, wenn man an der Stelle ändert, dann muss man m.E. auch bei der Gesamtpunktezahl „drehen“, denn sonst passt das „Gesamtgefüge“ – wenn denn der ursprüngliche Vorschlag überhaupt eins hatte – nicht mehr. Das hat der forsche Peter mit seinen Leuten m.E. übersehen.

Was mich erschreckt: Die Art und Weise, wie es zu den Änderungsvorschläge gekommen ist. Ein Internetforum, in dem sich angeblich 30.000 Nutzer geäußert haben, hat die Überarbeitung gebracht. So macht man also heute Politik. 2013 und die Wahlen und das Abschneiden der CSU lassen grüßen. Dazu passt dann auch die Wortwahl: „Bemerkenswert ist das gesunde Rechtsempfinden vieler Bürger„, so heißt es in dem Interview, dass Peter Ramsauer gegeben hat. Da läuft es einem dann doch kalt den Rücken herunter. Mit „Rechtsempfinden“ kann ich ja noch leben, obwohl die Nähe zum „Volksempfinden“… Aber dann gleich „gesund“. Alles andere ist also nicht „gesund“? Das oder Ähnliches hatten wir doch schon mal (vgl. den Beitrag von de legisbus).  Damit liegt unser Verkehrsministers m.E. völlig neben der Sache.

Niedlich, sogar ein wenig versöhnlich wird das Interview zum Schluss.

Im Interview mit der „Bild am Sonntag“ plauderte der Bundesverkehrsminister auch über seine eigenen Fahrgewohnheiten: „Früher eher immer am Limit, heute fahre ich mit größter Vorsicht.“ Seinerzeit hatte Ramsauer sogar einen Punkt bei der Verkehrssünderdatei in Flensburg. „Aber der ist längst getilgt. Vor 30 Jahren bin ich einmal in einer Baustelle geblitzt worden – mit ungefähr 80 statt 60 Sachen.“ Ramsauer fuhr als junger Mann zunächst einen VW Käfer 1202, stieg bald aber auf ein wesentlich schnelleres Auto um: „Mein zweiter Wagen war ein gelber Scirocco mit 125 PS. Das war eine heiße Kiste.

Ah, das ist ja schön, ein durch einen Punkt in Flensburg geläuterter Peter Ramsauer. Nun, man könnte auch auf die Idee kommen, woher die Punkte eigentlich kommen sollen? Denn fahren wird der Minister selbst kaum noch.

Abschließend: Ich denke, dass dieser Auftritt nur der erste Akt im Sommertheater war. Neues ist vorprogrammiert. Denn Peter Ramsauer hat einen „Denkanstoß“ bekommen (toll, nachdenken kann man über solche Dinge also doch/auch):

Viele Bürger hätten auch eine Erhöhung der Bußgelder für Autofahrer gefordert, die an Schulbussen vorbeirasen, Kinder nicht angurten oder während des Fahrens mit dem Handy telefonieren. „Das ist zwar kein Bestandteil der Punktereform, aber trotzdem ein Denkanstoß“, sagte Ramsauer.“

Dann los Herr Minister. Bis 2013 ist nicht mehr viel Zeit.