Archiv für den Tag: 20. April 2012

Sich-Verbergen in der Bewährungszeit – Verschulden bei der Wiedereinsetzung

Dem bulgarischen Verurteilten wird im Bewährungsbeschluss aufgegeben, unverzüglich festen Wohnsitz zu nehmen und seine Anschrift der Kammer innerhalb von drei Tagen mitzuteilen. Dem kommt er nicht nach, sein Verteidiger teilt, als dem Verurteilten Schriftstücke nicht zugestellt werden können, mit, dass auch ihm eine ladungsfähige Anschrift nicht bekannt ist. Das LG widerruft dann die Bewährung und stellt öffentlich zu. Der Verurteilte wird festgenommen und legt (verspätet) Beschwerde ein.

Der OLG Köln, Beschl. v. 30.01.2012 – 2 Ws 76/12 – erörtert u.a. die Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (von Amts wegen) und verneint sie.

Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen nicht vor. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig gestellt worden ist, da jedenfalls die sofortige Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss innerhalb der Wochenfrist zur Beantragung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die frühestens mit der Verkündung des Sicherungshaftbefehls am 26.12.2011 zu laufen begonnen hatte, beim Landgericht eingegangen ist, so dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch von Amts wegen gem. § 45 Abs. 2 S. 3 StPO gewährt werden könnte. Hierfür liegt indes die Voraussetzung fehlenden Verschuldens des Verurteilten an der Fristversäumung gem. § 44 StPO nicht vor. Wer sich in der Bewährungszeit verborgen hält, insbesondere auch entgegen einer richterlich erteilten Weisung seinen Aufenthaltsort nicht angibt, kann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beanspruchen (BGHSt 26, 127; SenE vom 7.10.2009 – 2 Ws 479/09 – ; Meyer-Goßner, § 44 Rdn. 14 m.w.N.). ……

Wird man n.E. wegen des Auflagen-/Weisungsverstoßes sicherlich mittragen können. Gefragt habe ich mich nur: Musste der Verteidiger eigentlich mitteilen, dass er die ladungsfähige Anschrift auch nicht kennt?

Die Behauptung „X. ist ein Sozialbetrüger…“ ist ehrverletzend

In einem zivilrechtlichen einstweiligen Verfügungsverfahren ging es – grob – um folgenden Sachverhalt: Der Verfügungskläger ist ein ehemaliger Mandant des Verfügungsbeklagten, dieser ist Rechtsanwalt. Der wird auf Unterlassen ehrverletzender Äußerungen und auf Unterlassung der Weitergabe von Informationen über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie sein Geschäftsverhalten in Anspruch genommen. Es geht u.a. um eine vom Verfügungskläger behauptete Äußerung des Verfügungsbeklagten. Diese soll in einer Sitzungspause eines Termins gegenüber einem Pressevertreter im Beisein eines Dritten wahrheitswidrig erklärt haben, bei dem Verfügungskläger handele es sich um einen Sozialbetrüger, er sei Bezieher von Leistungen nach dem SGB II, arbeite aber vollschichtig für die C. GmbH.

Das OLG Brandenburg, Urt. v. 05.03.2012 – 1 U 8/11 sieht darin eine ehrverletztende Äußerung und hat einen Unterlassungsanspruch  gemäß § 1004 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1 und 2 BGB und § 186 StGB gesehen. Das Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 GG) stehe dem nicht entgegen.

Man fragt sich: Mag er seinen Mandanten nicht, oder wie sonst läßt sich die Äußerung erklären? Im Übrigen lesenswert, weil mal wieder ein Beispiel für: Strafrecht hat auch zivilrechtliche Auswirkungen…

In der Kürze liegt die Würze – § 154a Abs. 2 StPO nicht übersehen

Das LG verurteilt den Angeklagten wegen Betruges beim Aktenverkauf/-kauf. In den Urteilsgründen hat das LG in einer 103seitigen Tabelle die 662 Geschädigten sowie die Daten und Summen der jeweiligen Aktienkäufe (einzelne Geschädigte erwarben mehrfach Aktien) aufgeführt. Seine Überzeugung hat es auf das „glaubhafte Geständnis“ des Angeklagten gestützt, das es durch die weitere Beweisaufnahme als „bestätigt und ergänzt“ angesehen hat (UA S. 151). Diese weitere Beweisaufnahme hat sich zum einen auf die dominante Stellung des Angeklagten in der Firmengruppe, deren desolate finanzielle Situation ab Anfang 2006 und die Vorgaben des Angeklagten zum Aktienvertrieb erstreckt; zum anderen hat die ermittelnde Polizeibeamtin bekundet, sie habe die „Zahl der Anleger und die Summe der von ihnen geleisteten Zahlungen“, die Gegenstand der Anklage geworden und vom Angeklagten glaubhaft gestanden waren, zusammengestellt.

Der BGH, Beschl. v. 31.01.2012 – 3 StR 285/11 – beanstandet das, weil danach offen bleibe, auf welche Weise sich das LG die Überzeugung davon verschafft hat, dass die 662 Geschädigten zu ihren Aktienkäufen jeweils durch einen dem Angeklagten zuzurechnenden, täuschungsbedingten Irrtum über Tatsachen veranlasst worden sind. An dieser Beurteilung ändere der Umstand, dass dem Urteil eine Verständigung zugrunde gelegen habe, nichts. Die Möglichkeit des Gerichts, sich mit den Verfahrensbeteiligten über das Ergebnis des Verfahrens zu verständigen (§ 257c Abs. 1 Satz 1 StPO), berühre die gerichtliche Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Ermittlung der Wahrheit nicht (§ 257c Abs. 1 Satz 2 StPO).

Soweit so gut – soweit auch nichts Neues. Neu ist auch nicht der Hinweis des BGH am Ende der Entscheidung, aber interessant. Denn:

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: Es wird sich empfehlen, den Verhandlungsstoff auf die gravierendsten Anklagevorwürfe zu beschränken (§ 154a Abs. 2 StPO), und diese mit der gebotenen Sorgfalt aufzuklären. Im Falle des Tatnachweises ist eine Strafe in der im angefochtenen Urteil festgesetzten Höhe durchaus auch dann vertretbar, wenn sich der Schuldspruch auf diese Vorwürfe beschränkt. Einer Erstreckung der Verurteilung auf die – eventuellen – Taten zum Nachteil aller 662 Anleger bedarf es hierzu nicht.

Also: Kürzen bzw. in der Kürze liegt die Würze. Am Ergebnis wird sich aber nichts ändern.

Lesetipp: Rechtsprechungsübersicht zur Akteneinsicht im Bußgeldverfahren

Auf meiner Homepage Burhoff online ist gestern mein Beitrag aus VRR 2012, 130 mit dem Titel „A never ending story? – (Akten)Einsicht in Messunterlagen im OWi-Verfahren“ online gestellt worden und dort steht jetzt zum kostenlosen Download bereit.

Der Beitrags schließt an meine Ausführungen in VRR 2011, 250 unter dem Titel: „Dauerbrenner: (Akten-)Einsicht in Messunterlagen im OWi-Verfahren“ an und stellt die nach diesem Beitrag bekannt gewordenen Entscheidungen zur Akteneinsicht im OWi-Verfahren vor.

Bei der Gelegenheit dann ein wenig Werbung für das im Oktober 2011 erschienene Werk „Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 3. Aufl., 2012″. Muss/Darf ja auch mal sein.