Archiv für den Tag: 2. April 2012

Zivilrecht meets Strafrecht – gilt auch im Gebührenrecht – Munition aus Naumburg

Der gebührenrechtliche OLG Naumburg, Beschl. v. 18.02.2012 – 1o W 67/11 (KfB) ist im Zivilrecht ergangen, für ihn gilt aber auch der Satz: „Zivilrecht meets Strafrecht“ . Die behandelte Problematik spielt nämlich auch im Strafrecht eine Rolle.

In der Sache ging es um die Frage der Erstattungsfähigkeit der im Berufungsverfahren bei der Berufungsbeklagten entstandenen Gebühr Nr. 3120 VV RVG. Deren Prozessbevollmächtigte hatten sich im Berufungsverfahren nicht zur Akte gemeldet, aber geltend gemacht, dass die Berufungsbeklagte beraten worden sei. Das OLG hat die Gebühr festgesetzt:

„Die Beklagte kann die Erstattung der ihm entstandenen außergerichtlichen Kosten von dem Kläger verlangen, denn es handelt sich um notwendige Kosten der Rechtsverfolgung (§ 91 ZPO). Nach Einlegung der Berufung durch den Prozessgegner kann eine Partei regelmäßig nicht selbst beurteilen, was zu ihrer Rechtsverteidigung erforderlich und sachgerecht zu veranlassen ist. Ihr kann nicht zugemutet werden, zunächst die Entscheidung des anwaltlich vertretenen Berufungsführers abzuwarten, ob das Berufungsverfahren tatsächlich durchgeführt wird (BGH, 10. ZS, Beschluss v. 17.12.2002, X ZB 9/02, veröffentlicht u.a.: NJW 2003, 765 ff., hier zitiert nach juris, OLG Naumburg, 10. ZS, Besch. v. 12.07.2007, 10 W 96/06, zitiert nach juris). Eines nach außen erkennbaren Tätigwerdens des beauftragten Rechtsanwalts bedarf es insoweit nicht; die Verfahrensgebühr gem. Nr. 3201 der Anlage zum RVG entsteht vielmehr bereits für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information der Partei (Senat, aaO.). Sie ist hier jedenfalls dadurch verdient, dass die Prozessbevollmächtigten der Beklagten nach ihrem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen im Beschwerdeverfahren nicht nur die Berufungsschrift, sondern auch den Hinweis des 9. Zivilsenats entgegengenommen und geprüft haben, ob insoweit – und sei es auch nur hinsichtlich der angekündigten Streitwertfestsetzung- etwas zu veranlassen sei.“

Von Bedeutung ist der Beschluss auch im Strafverfahren, und zwar deshalb, weil er

  1. Munition bietet in dem Streit um die Frage, der Erstattungsfähigkeit der Nr. 4124 VV RVG bzw. Nr. 4130 VV RVG, wenn z.B. die StA ihre Berufung vor Berufungsbegrünudng zurückgenommen hat – dort wird von der überwiegenden Meinung die Erstattungsfähigkeit abgelehnt, weil eine vor Berufungsbegründung erbrachte Tätigkeit des Verteidigers „nutzlos“ sei,
  2. klar und deutlich macht, dass die Verfahrensgebühr eben jede Tätigkeit des Rechtsanwalts abdeckt, und zwar auch die, die sich nicht aus der Akte ergibt – von Kollegen höre ich immer wieder, dass sie sich im Kostenfestsetzungsverfahren mit dem Einwand auseinander setzten müssen, eine Verfahrensgebühr sei nicht entstanden, das sich Tätigkeiten des Verteidigers nicht aus der Akten ergeben würde.

Gegen beide Argumentationen kann man den OLG Naumburg, Beschl. ins Feld führen.

Der Politoxikomane und das Fahrrad

Ich hatte vor einigen Tagen über das Vorhaben der Stadt Münster berichtet, Alkoholsündern (auch) das Fahrradfahren zu untersagen (vgl. hier).

© ExQuisine - Fotolia.com

Ich bin jetzt auf OVG Niedersachsen, Beschl. v. 02.02.2012 – 12 ME 274/11 gestoßen, der die Frage zum Gegenstand hat, ob einem sog. Polytoxikomanen die Nutzung des Fahrrads untersagt werden kann. Das OVG hat das im vorläufigen Rechtsschutzverfahren bejaht: Habe eine Person ein Konsumverhalten in der Weise, dass sie zugleich harte Drogen, Cannabis, Alkohol und Schmerzmittel aus der Gruppe der Opioide einnimmt, könne dies zu sich verstärkenden und völlig unvorhergesehenen Wechsel- und Nebenwirkungen führen. Eine solche Person sei auch nicht zum Führen eines Fahrrads geeignet, sodass ihm die Nutzung wegen möglicher Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer verboten werden köne (§§ 3 Abs. FeV, 2 Abs. 4 StVG).

BVerfG beanstandet Durchsuchungsanordnung, spät kommt die Entscheidung, aber sie kommt, nach gut 4 1/2 Jahren

Es gab man eine Zeit, da rasselte es nur so von Entscheidungen des BVerfG zu Durchsuchung und Beschlagnahme, insbesondere zu den Anforderungen an die Begründung des Durchsuchungsbeschlusses. Dazu hört man in letzter Zeit aus Karlsruhe weniger, was m.E. dafür spricht, dass die wegen Art. 13 Abs. 2 GG recht strenge Rechtsprechung des BVerfG bei den AG angekommen ist. Aber: Ausreißer (?) gibt es immer wieder. Und einen davon behandelt der BVerfG, Beschl. v. 05.03.2012 – – 2 BvR 1345/08, der einen Durchsuchungsbeschluss zum Gegenstand hat, der in einem Verfahren wegen Verstoßes gegen das SchwArbG ergangen war.
Die vom Betroffenen eingelegte Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Das BVerfG hat zwei Beanstandungen an dem in dem Verfahren ergangenen amtsgerichtlichen Beschluss, und zwar:

1. „...Der Durchsuchungsbeschluss benennt und umschreibt die dem Geschäftsfüh­rer der Beschwerdeführerin zur Last gelegte Tat lediglich als „Arbeiten des Dach­decker-Handwerks … unter Verstoß gegen § 1 Abs. 2 Nr. 4 u. 5 des Gesetzes zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und damit zusammenhängen­der Steuerhinterziehung“. Der Beschluss lässt damit offen, welcher Verstoß dem Geschäftsführer der Beschwerdeführerin angelastet wird, weil § 1 Abs. 2 Nr. 4 SchwarzArbG einerseits und § 1 Abs. 2 Nr. 5 SchwarzArbG andererseits unter­schiedliche Formen von Schwarzarbeit beschreiben und die Angabe eines Bußgeldtatbestandes im Durchsuchungsbeschluss gänzlich fehlt. …“

2. „…Vor allem aber enthält der Durchsuchungsbeschluss keine konkreten Angaben zu dem dem Geschäftsführer der Beschwerdeführerin tatsächlich vorgeworfenen Verhalten sowie zum Tatzeitraum. Aus dem Durchsuchungsbeschluss wird nicht ersichtlich, welches konkrete Verhalten dem Geschäftsführer der Beschwerdefüh­rerin zur Last gelegt wird und inwiefern sich daraus der Verdacht einer Ordnungs­widrigkeit nach dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz ergeben könnte.

Zwar ist die Angabe von Indiztatsachen, auf die der Verdacht gestützt wird, in einem Durchsuchungsbeschluss nicht stets von Verfassungs wegen zwingend notwendig. Dies gilt allerdings nur, wenn sie nicht zur Begrenzung der richterlichen Durchsuchungsgestattung notwendig sind (vgl. BVerfGK 1, 51 <52>; BVerfG, Be­schluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. September 2007 – 2 BvR 620102 -, a.a.O., Rn. 24), etwa weil sich in der Zusammenschau mit der Um­schreibung der aufzufindenden Beweismittel ergibt, worauf die mit der Durchsu­chung betrauten Beamten ihr Augenmerk zu lenken haben. Daran fehlt es hier. Die Benennung der Beweismittel („Verträge oder Aufträge jeder Art von oder mit Kunden, Rechnungen, Bankbelege sowie Buchführungsunterlagen, Muster- oder Mustermappen, Karteikarten, Terminkalender, Schriftverkehr aus dem hervorgeht, dass der Obengenannte das Handwerk/Gewerbe ausübt, Quittungen, Sparkas­senbücher etc.“) lässt vielmehr die Suche nach nahezu allen denkbaren schriftlichen Geschäftsunterlagen ohne zeitliche Eingrenzung zu (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. April 2008 – 2 BvR 1910/05 -, juris, Rn. 22). Den Ermittlungspersonen war somit nicht zweifelsfrei aufgezeigt, worauf sie ihr Augenmerk bei der Durchsuchung zu richten hatten. Der äußere Rahmen der Durchsuchung war nicht hinreichend abgesteckt.“

War wirklich ein bisschen dünn bzw. ein wenig weit – je nachdem, wie man es sieht.

Was allerdings auffällt an der Entscheidung: Der angefochtene AG bzw. LG-Beschluss stammt aus 11/2007 bzw. 05/2008, also gut 4 1/2 Jahre bzw. 4 Jahre zurück. Da muss man als Betroffener also schon einen langen Atem haben bzw. viel Geduld, bis man was aus Karlsruge hört. Zum Glück handelt es sich ja nicht um eine Haftsache.