Archiv für den Monat: März 2012

Aufgepasst! Verlust der Einbürgerung droht. Und daher: Erhöhter Beratungsbedarf beim ausländischen Mandanten

Das BVerwG hat mit zwei Pressemitteilungen vor einigen Tagen über zwei Entscheidungen berichtet, die m.E., wenn es sich um einen ausländischen Mandanten handelt, die anwaltlichen Beratungs-/Hinweispflichten bei Übernahme des Mandats erweitern bzw. diese konkretisieren.

Einmal geht es um das BVerwG,  Urt. v. 20.03.2012 – 5 C 1.11 -, in dem das BVerwG ein Verwertungsverbot nach Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens im Einbürgerungsverfahren nach dem StAG verneint hat. Danach darf bei der Entscheidung über die Einbürgerung das Verhalten eines Ausländers berücksichtigt werden, das Gegenstand eines eingestellten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens war. Zur PM – Volltext liegt noch nicht vor – geht es hier.

Zum anderen geht es um das BVerwG, Urt. v. 20.03.2012 – 5 C 5.11. Danach besteht kein Anspruch auf die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit, wenn der Einbürgerungsbewerber zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt worden ist. Ein Einbürgerungsanspruch bestehe grundsätzlich nicht, wenn der Ausländer wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt worden sei (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 d StAG). Eine Ausnahme macht das Gesetz für Verurteilungen zu Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen oder drei Monaten Freiheitsstrafe (§ 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 StAG**). Übersteigt die Strafe diese sogenannten Bagatellgrenzen, könne sie die Einbürgerungsbehörde zwar als weitere Ausnahme noch im Wege einer Ermessensentscheidung außer Betracht lassen. Dies setze aber voraus, dass die Strafe den vorgegebenen Rahmen (von 90 Tagessätzen) nur „geringfügig“ übersteige (§ 12a Abs. 1 Satz 3 StAG). Das ist nach Ansicht des BVerwG bei einer Überschreitung um 30 Tagessätze und damit um ein Drittel nicht der Fall. Die PM – Volltext ebenfalls noch nicht vorhanden – dann hier.

Die Rechtsprechung wird man bei ausländischen Mandanten bei Einstellungsentscheidungen und Verständigungen im Auge behalten müssen. Sonst kommt das dicke Ende für den Mandanten an der Stelle dann doch hinterher.

Venire contra factum proprium – das gilt auch für das Gericht -, oder: Die erlaubte Eigenmacht

Folgender Sachverhalt:

Der Amtsrichter verkündet in der Hauptverhandlung am 23. 12. 2010 einen Beschluss, mit dem die Hauptverhandlung unterbrochen und ein Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 03.01.2011 anberaumt wird. Auf Nachfrage der Verteidigerin, wie die Anberaumung eines Verkündungstermins zu verstehen sei, antwortet der Vorsitzende, der Angeklagte brauche nicht zu erscheinen, das gelte auch für die Verteidigerin. An dem Hauptverhandlungstermin am 03.01.2011, in dem das Urteil verkündet worden ist, sind der Angeklagte und seine Verteidigerin nicht anwesend gewesen.

Der Angeklagte rügt das mit der Revision. Er sieht in der Verkündung des Urteils seiner Abwesenheit einen zum absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO führenden Verstoß gegen § 230 StPO. Die Voraussetzungen für eine Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten nach § 231 Abs. 2 StPO hätten nicht vorgelegen. Es fehle an der dafür erforderlichen Eigenmächtigkeit der Abwesenheit, weil das Gericht dem Angeklagten das Erscheinen freigestellt habe. Auch die übrigen gesetzlichen Gründe für eine Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten lägen nicht vor.

Der OLG Celle, Beschl. v. 17.05.2011 – 32 Ss 47/11 – sagt dazu auf der Grundlage der Stellungnahme der GStA: Richtig. Denn:

Die Fortsetzung der Hauptverhandlung am 03.01.2011 ohne den Angeklagten war rechtsfehlerhaft. Eine unterbrochene Hauptverhandlung darf nur dann ohne den An­geklagten fortgesetzt werden, wenn dieser ihr eigenmächtig ferngeblieben ist, also ohne Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe wissentlich seiner Anwesen­heitspflicht nicht genügt hat (BGHSt 37, 249, 251; 46, 81 ff.).

 Eigenmächtiges Handeln liegt unter anderem dann nicht vor, wenn dem Angeklagten in der mündlichen Verhandlung erklärt wird, bei seinem Nichterscheinen werde ohne ihn verhandelt (vgl. OLG Köln StV 1985, 50; OLG Bremen StV 1992, 558), wenn das Gericht ihm freigestellt hatte, ob er zu Fortsetzungsverhandlung erscheine (vgl. BGH StV 1987, 189; OLG Stuttgart NJW 1970, 343) oder wenn sich aus dem Verhalten des Gerichts ein Einverständnis mit dem Ausbleiben des Angeklagten entnehmen lässt (vgl. BGH NStZ 1989, 283).

 Dabei obliegt es nicht dem Angeklagten, glaubhaft zu machen, dass sein Ausbleiben nicht auf Eigenmächtigkeit beruht, diese ist ihm vielmehr nachzuweisen (BGHSt 10, 304, 305; 16, 178, 180). Es kommt auch nicht darauf an, ob das Gericht Grund zur Annahme hatte, der Angeklagte habe den Termin zur Fortsetzung der Hauptver­handlung vorsätzlich nicht wahrgenommen, sondern allein darauf, ob eine solche Eigenmächtigkeit im Sinne von § 231 Abs. 2 StPO tatsächlich vorlag (BGH StV 1981, 393, 394).

 Der Senat hat dabei selbständig, gegebenenfalls im Wege des Freibeweises, zu prüfen, ob die Eigenmächtigkeit auch noch im Zeitpunkt des Revisionsverfahrens nachgewiesen werden kann, ohne an die Feststellungen des Tatrichters gebunden zu sein (BGH NStZ 1999, 418; NStZ-RR 2001, 333).

 Ein solcher Nachweis für ein eigenmächtiges Fernbleiben des Angeklagten ist nicht zu führen.

 Ausweislich der eingeholten dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden Richters kann sich dieser an die Inhalte eines Gesprächs mit der Verteidigerin nicht mehr konkret erinnern; er vermag demzufolge die ihm zugeschriebene Äußerung nicht auszuschließen (Bl. 137 d.A.).

 Da die Verlesung der Urteilsformel nach § 268 StPO einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung darstellt (vgl. BGHSt 8, 41; 15, 263; 16, 178, 180; BGH NStZ 1989, 284; BGH NStZ-RR 2001,333;), ist die Verfahrensrüge begründet.“

Vollstreckung ausländischer Geldsanktionen: Rechtsbeschwerde und Halterhaftung

Wir hatten ja vor einigen Tagen über den Beschluss des AG Bochum vom 27.02.2012 – 29 Gs 2/12 – betreffend die Vollstreckung ausländischer Geldsanktionen berichtet. Die damit zusammenhängenden Fragen sind dann doch inzwischen auch bei den OLG angekommen.

Es gibt dazu den OLG Koblenz, Beschl. v. 20.1.2012 – 1 SsRs 4/12 – , der sich mit der Zulassung der Rechtsbeschwerde nach §§ 87j, 87k IRG auseinandersetzt und davon ausgeht, dass eine Zulassung nicht in Betracht kommt, wenn keine klärungsbedürftige Rechtsfrage im Raum steht und auch kein Risiko eines Nachahmungseffekts besteht. Er weist außerdem darauf hin, dass für die Anpassung einer niederländischen Geldsanktion, die wegen einer dort begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung verhängt wurde, an deutsche Regelsätze es keine Rechtsgrundlage gibt. Es ist also so zu vollstrecken, wie es im Ausland festgesetzt worden ist. (OLG Koblenz, Beschl. v. 20.1.2012 – 1 SsRs 4/12).

Und dann hat sich das OLG Düsseldorf zu Wort gemeldet und zwar im OLG Düsseldorf, Beschl. v. v. 9.2.2012 – III-3 AR 6/11. Der liegt auf der Linie des AG Bochum bzw. das AG Bochum auf der Linie des OLG Düsseldorf – aber es haben wohl beide nichts voneinander gewusst. Der nimmt zur Vorschrift des § 87b Abs. 3 Nr. 9 IRG Stellung, den Fällen der sog. Halterhaftung im Straßenverkehr, in denen der Betroffene allein deswegen für Verkehrsver­stöße haftet, weil er Halter des Fahrzeugs ist, mit dem der Verstoß begangen wurde. Danach ist eine Vollstreckung nur dann unzulässig, wenn der Betroffene den Einwand des fehlenden eigenen Verschuldens gegenüber der Bewil­ligungsbehörde geltend macht. Da muss der Betroffene/Verteidiger sich also rühren.

Zu dem Ganzen gibt es eine Anmerkung in ZIS 2012, 77, die auch noch einmal Grundsätzliches zusammenfasst.


Urlaub des Angeklagten – Chancen für die Revision

Wenn ich Fortbildung bei Richtern machen würde, würde ich davor warnen, den Angeklagten unter Anwendung des § 231c StPO von der Anwesenheit in der Hauptverhandlung zu beurlauben. Denn mit der Vorschrift sind viele Risiken verbunden, die zu einem Erfolg der Revision führen können. Das macht der BGH, Beschl. v. 16.02.2012 – 3 StR 462/11 – anschaulich. Da hat es schon an der Grundvoraussetzung, nämlich der Anordnung/Beurlaubung durch einen ordnungsgermäßen Beschluss gefehlt.

a) Das Gericht kann, wenn die Hauptverhandlung gegen mehrere Angeklagte stattfindet, einem Angeklagten sowie seinem notwendigen Verteidiger auf Antrag gestatten, sich während einzelner Verhandlungsteile zu entfernen, wenn er von diesen nicht betroffen ist. In dem Beschluss sind die Verhand-lungsteile zu bezeichnen, für die die Erlaubnis gilt (§ 231c Satz 1 und 2 StPO).

b) Danach ist bereits dann rechtsfehlerhaft in Abwesenheit des Angeklagten verhandelt worden (§ 338 Nr. 5 StPO), wenn die in dem Beschluss über die Befreiung festgelegte inhaltliche Begrenzung des Verhandlungsgegenstandes nicht eingehalten worden ist. So liegt es hier bezüglich der Sitzung vom 30. Mai 2011, in der über den im Beschluss bezeichneten Umfang hinaus zwei Verwertungswidersprüche entgegengenommen und beschieden worden sind.

c) Zudem war der Angeklagte von diesem Verhandlungsteil, der in seiner Abwesenheit stattgefunden hat, betroffen. Anders wäre es nur gewesen, wenn ausgeschlossen werden könnte, dass die während seiner Abwesenheit behandelten Verfahrensfragen auch nur mittelbar die gegen ihn erhobenen Vorwürfe berührten und damit auch nur potentiellen Einfluss auf Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch gegen den Angeklagten hatten (BGH, Beschluss vom 5. Februar 2009 – 4 StR 609/08, NStZ 2009, 400). Dies ist nicht möglich. Die Anträge dienten dem Ziel, die Ergebnisse der Telekommunikationsüberwachung nicht in die Hauptverhandlung einzuführen. Diese waren aber erkennbar nicht nur geeignet, die die Tatvorwürfe des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln bestreiten-den Mitangeklagten zu belasten. Die Art und das Ergebnis von deren Verteidigungsbemühungen konnten vielmehr durchaus Bedeutung auch für den Angeklagten gewinnen, obwohl sich dieser zum Anklagevorwurf geständig eingelassen und die Mitangeklagten belastet hatte. Der Inhalt der Telekommunikation konnte dazu dienen, seine Darstellung des Tatgeschehens zu bestätigen, was für die Glaubhaftigkeit seiner Einlassung und für die gerichtliche Entscheidung darüber von Bedeutung hätte sein können, ob er damit Aufklärungshilfe im Sinne von § 31 BtMG geleistet hatte.

Was drauf steht, sollte auch drin sein…

Mit dem Satz: „Was drauf steht, sollte auch drin sein…“ könnte man den BGH, Beschl. v. 22.02.2012 – 4 StR 634/11– überschreiben. Was ist passiert bzw., was liegt ihm zugrunde? Nun, ein Versehen (?), das sicherlich nicht so häufig vorkommt, nämlich ein Abweichen von Urteilsgründen und Urteilsformel. In den Gründen ist von einer Freiheitsstrafe von acht Jahren die Rede, die Urteilsformel verhängt eine von 11 Jahren und sechs Monaten. Das bekommt man nicht deckungsgleich, und der BGh hebt auf:

Das Rechtsmittel hat indes zum Strafausspruch wegen des Widerspruchs zwischen der Urteilsformel und den Urteilsgründen Erfolg.

Die in der Urteilsformel genannte Freiheitsstrafe von elf Jahren sechs Monaten kann nicht bestehen bleiben, weil sie von den – für sich genommen rechtsfehlerfreien – Erwägungen zur Strafzumessung nicht getragen wird. Es liegt keine Fallgestaltung vor, bei der ohne Weiteres deutlich wird, dass der Tatrichter seine Ausführungen zur Strafzumessung in Wirklichkeit nicht auf die in den Urteilsgründen, sondern auf die in der Urteilsformel bezeichnete Strafe bezogen hat und dass diese Strafe trotz der anderslautenden Urteilsgründe dem Beratungsergebnis entspricht (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 25. Mai 2007 – 1 StR 223/07, NStZ 2008, 710, 711 m.w.N.). Es lässt sich auf der Grundlage des Urteils weder ausschließen, dass das Landgericht die in der Urteilsformel genannte Freiheitsstrafe hat verhängen wollen, noch, dass es die in den Urteilsgründen bezeichnete, deutlich niedrigere Freiheitsstrafe für angemessen gehalten hat.“