Archiv für den Monat: Januar 2012

„Der Verurteilte wurde gehört, aber nicht erhört:“ Will der 1. Strafsenat des BGH sich damit lustig machen?

In der Mailingliste der ARGE Strafrecht weist gerade ein Kollege auf den BGH, Beschl. v. 19.01.2011 – 1 StR 571/11, der heute auf der HP des BGH eingestellt worden ist, hin (ich hatte die Veröffentlichungen noch nicht ausgewertet). Den Hinweis greife ich dann gleich mal auf. In der Sache:

Es geht um eine Anhörungsrüge, die der 1. Strafsenat des BGH zurückgewiesen hat. So weit, so gut. Nur: Der Beschlusstext, mit dem hat der Kollege Probleme, und m.E. zu Recht. Dort heißt es:

„Die Rüge ist jedenfalls unbegründet. Der Senat hat bei seiner Revisionsentscheidung weder Verfahrensstoff noch Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet, zu denen der Angeklagte zuvor nicht gehört worden ist. Auch wurde zu berücksichtigendes Vorbringen nicht übergangen noch in sonstiger Weise der Anspruch des Verurteilten auf rechtliches Gehör verletzt. Der Verurteilte wurde gehört, aber nicht erhört.“

Der Kollege fragt m.E. zutreffend, ob er zu empfindlich sei? M.E. nein, denn das „klingt [schon] das nach einem (leicht?) überhöhten Senat, der sich lustig macht“. Oder bin ich auch zu empfindlich? Jedenfalls eine „unschöne“ Formulierung des 1. Strafsenats des BGH. So etwas muss nicht sein.

Aufmucken in der Hauptverhandlung – lieber einmal mehr…

Der BGH, Beschl. v.10.01.2012 –  5 StR 508/11 ist wieder mal ein schöne Beweis für die/meine Behauptung, dass in der Hauptverhandlung Schweigen des Verteidigers häufig nicht Gold ist, sondern nur Silber. Denn, wenn der Verteidiger in verfahrensrechtlichen Situationen, in denen es um Fragen der sog. Verhandlungsleitung des Vorsitzenden schweigt, wird es häufig mit der Verfahrensrüge in der Revision schwierig. Denn ist nicht gem. § 238 Abs. 2 StPO beanstandet und ein Beschluss des Gerichts herbeigeführt worden, fehlt es an den Voraussetzungen des § 338 Nr. 8 StPO.

Dazu der BGH, Beschl.:

„Die in diesem Zusammenhang erhobene Rüge eines Fairnessverstoßes ist unzulässig. Der erst nach dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft erteilte Hinweis des Landgerichts auf veränderte Konkurrenzen hätte, wenn die Verteidigung ihn als verspätet beanstanden wollte, einen Zwischenrechtsbehelf erfordert: Die als Maßnahme der Verhandlungsleitung unmittelbar danach ergangene Aufforderung an den Verteidiger, den Schlussvortrag zu halten, wäre gemäß § 238 Abs. 2 StPO zu beanstanden gewesen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 238 Rn. 22), anstatt – wie geschehen – widerspruchslos den Schlussvortrag zu halten. „

Allerdings: Wenn die Rechtsprechung an immer mehr Stellen den Widerspruch/Zwischenrechtsbehelf verlangt, dann darf man sich nicht beklagen, dass die Hauptverhandlungen so unruhig werden/sind. Der Verteidiger hat dann keine andere Wahl.

Erst Stalking, dann Haftpflichtversicherungsschutz?

Die „schönsten“ = interessantesten = ungewöhnlichsten Fälle schreibt das Leben. Dazu gehört, zumindest zur Rubrik „ungewöhnlich“, der Sachverhalt, der dem OLG Oldenburg, Beschl. v. 04.11.2011 – 5 W 58/11, der nicht unmittelbar mit Strafrecht zu tun hat, aber zumindest mittelbar, zugrunde liegt.

Es geht um die Frage des Eintritts einer privaten Haftpflichtversicherung eines „Stalkers“, der offenbar für von ihm auf Grund des Stalkings angerichtete Schäden in Anspruch genommen wird. Seine Privathaftpflicht hat den Eintritt angelehnt. Dagegen die „Deckungsklage“, für die Prozeßkostenhilfe beantragt worden ist. Das LG hat abgelehnt, das OLG bestätigt den Beschluss:

Gemäß Punkt A II 1 BesBedPHV ist die Haftpflicht aus einer ungewöhnlichen und gefährlichen Betätigung nicht versichert. Damit sollen Tätigkeiten vom Versicherungsschutz ausgenommen werden, hinsichtlich derer ein redlicher Versicherungsnehmer von vornherein in der Privathaftpflichtversicherung keinen Deckungsschutz erwarten kann (vgl. OLG Karlsruhe, NJWRR 1995, S. 1433. OLG Oldenburg, Beschluss vom 15.12.1995, Az.: 2 W 141/95, Rn. 2 m. w. N., zitiert nach juris). Die schadenstiftende Handlung muss im Rahmen einer allgemeinen Betätigung erfolgt sein, die ihrerseits sowohl ungewöhnlich als auch gefährlich ist und deshalb in erhöhtem Maße die Gefahr der Vornahme schadenstiftender Handlungen in sich birgt. Gefährlich im Sinne der Klausel ist eine Beschäftigung dann, wenn aus ihr eine Risikoerhöhung für einen in der Haftpflichtversicherung allein relevanten Fremdschaden resultiert. Ob der handelnde Versicherungsnehmer durch die Beschäftigung Eigentum und/oder seine Gesundheit gefährdet, ist unerheblich. Seine Beschäftigung muss die erhöhte Gefahr der Schädigung fremder Rechtsgüter und der daraus resultierenden gesetzlichen Haftpflicht in sich bergen (vgl. BGH, NJWRR 2004, S. 831, 832 m. w. N.).

Und davon ist das OLG auf Grund des Umstände des Falles ausgegangen.

Langes Verfahren – Vollstreckungslösung im Jugendrecht?

Die Frage, ob bei einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung auch im Jugendrecht die sog. „Vollstreckungslösung“ des BGH Anwendung findet und damit die Verfahrensverzögerung kompensiert werden kann, ist in der Rechtsprechung des BGH nicht ganz unbestritten. Während der Große Senat für Strafsachen das wohl bejaht, haben die Strafsenate das m.E. teilweise anders gesehen.

In der Diskussion hat sich jetzt das OLG Hamm zu Wort gemeldet und im OLG Hamm, Beschl. v.08.12.2011 – III-3 RVs 102/11 die Anwendung jedenfalls bei der Verhängung eines Jugendarrestes verneint.

„… Dass die „Vollstreckungslösung“ auch bei der Verhängung von Jugendarrest Anwendung finden kann, vertritt — soweit ersichtlich — niemand. Ohnehin ist dieser Weg der Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen für den Jugendarrest, der im Falle des Dauerarrestes höchstens vier Wochen betragen darf (§ 16 Abs. 4 Satz 1 JGG), nicht geeignet. Eine Anwendung der „Vollstreckungslösung“ würde angesichts dieser Höchstdauer nicht mehr zu sinnvollen Rechtsfolgenaussprüchen führen.

Die Verfahrensverzögerung ist bei der Verhängung von Jugendarrest vielmehr als Gesichtspunkt im Rahmen der Zuchtmittelbemessung zu berücksichtigen.“

Pflichtverteidiger bei § 153a StPO?

Der OLG Hamm, Beschl. v. 07.10.2011 – III-3 Ws 321/11 – sagt: Das geht grundsätzlich, und zwar auch noch nach Einstellung des Verfahrens. In der Sache hat es dann die Beschwerde des Angeklagten als unbegründet angesehen:

Die Leitsätze:

„Auch in dem Verfahrensstadium nach Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO kann die Mitwirkung eines Verteidigers – so z.B. zur Wahrung der Rechte des Angeklagten bei der Auflagen- und Weisungserfüllung oder auch zur Vorbereitung der neuen Hauptverhandlung bei drohendem Scheitern der vorläufigen Einstellung – geboten sein, so dass auch in diesem Verfahrensstadium die Bestellung eines Pflichtverteidigers in Betracht kommen kann.

Eine schwierige Sachlage im Sinne des § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO besteht nicht stets bei längerer Dauer der Hauptverhandlung oder bei einer komplexen Beweislage (Meyer-Goßner, a.a.O., § 140 Rdnr. 26a m.w.N.). Eine schwierige Sachlage ist erst dann anzunehmen, wenn die Gefahr besteht, dass der Angeklagte seine Rechte ohne die Mitwirkung eines Verteidigers nicht mehr ausreichend wahrnehmen kann, insbesondere weil er allein den Überblick über die Beweisaufnahme zu verlieren droht.“