Archiv für den Monat: August 2011

Der nicht ernsthafte Suizidversuch als eigenmächtiges Entfernen aus der Hauptverhandlung

In einem umfangreichen Beschluss hat der 1. Strafsenat des BGH zur Eigenmächtigkeit i.S. von § 231 Abs. 2 StPO Stellung genommen. Der Leitsatz des für BGHSt bestimmten BGH, Beschl. v. 25.07.2011 – 1 StR 631/10 lautet – soweit hier von Interesse:

Eigenmächtigkeit des Entfernens im Sinne von § 231 Abs. 2 StPO kann vorliegen, wenn der Angeklagte aufgrund einer mittelgradigen depressiven Episode einen Suizidversuch unternimmt, der zu seiner Verhandlungsunfähigkeit führt.

Dazu führt der 1. Strafsenat dann u.a. aus:

4. Eigenmächtigkeit kann danach grundsätzlich auch dann gegeben sein, wenn der Angeklagte – wie hier – während laufender Hauptverhandlung einen Suizidversuch unternimmt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juli 1961 – 2 StR 575/60, BGHSt 16, 178; vom 19. Februar 2002 – 1 StR 546/01, NStZ 2002, 533).
Für den von der Rechtsprechung herausgearbeiteten und vom Gesetzgeber übernommenen Begriff der Eigenmächtigkeit sind bei einem Suizidversuch während laufender Hauptverhandlung folgende Kriterien maßgebend:
a) Der Angeklagte muss seine Verhandlungsunfähigkeit selbst herbeigeführt haben und dies muss ihm zuzurechnen sein. Dabei muss er vorsätzlich handeln und in Kenntnis des Umstandes, dass hierdurch die ordnungsmäßige Durchführung der Hauptverhandlung verhindert wird. Die Verhinderung der Hauptverhandlung muss allerdings nicht das Ziel des Angeklagten sein. Es genügt, wenn er dies als notwendige Folge seines Verhaltens erkennt und damit will; eine Boykottabsicht ist demnach nicht erforderlich.
b) Zu diesen Kriterien muss hinzukommen, dass der Angeklagte „schuldhaft“ handelt. Das in § 231a Abs. 1 Satz 1 StPO genannte Merkmal „schuldhaft“ gilt nach dem Vorstehenden in gleicher Weise für das Verständnis des ungeschriebenen Merkmals „Eigenmächtigkeit“ in § 231 StPO.
Den Begriff „schuldhaft“ verwendet die Strafprozessordnung auch in § 464c StPO (Säumnis des Angeschuldigten und Dolmetscherauslagen). Vergleichbare Merkmale finden sich etwa in § 230 StPO (Vorführung oder Haftbefehl, wenn der ausgebliebene Angeklagte „nicht genügend entschuldigt“ ist) und in § 51 Abs. 2 StPO (Ausbleiben des Zeugen); vgl. auch § 44 StPO. Auch wenn es bei den Vorschriften der §§ 51, 230 und § 464c StPO um Fälle der Säumnis geht, ist der Senat doch der Ansicht, dass das dortige Begriffsverständnis von „schuldhaft“ jedenfalls auf Fälle der vorliegenden Art nicht übertragbar ist.
c) Für Fälle der vorliegenden Art erscheint dem Senat eine Konturierung des Merkmals „schuldhaft“ anhand der Eingangsmerkmale der §§ 20, 21 StGB besser geeignet (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 231a Rn. 8). Freilich spricht die amtliche Überschrift der §§ 20, 21 StGB von „Schuldunfähigkeit“ bzw. „Schuldfähigkeit“. Das sind materiell-rechtliche Begriffe, die mit dem in der Strafprozessordnung verwendeten verfahrensrechtlichen Merkmal „schuldhaft“ nicht deckungsgleich sind (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juli 1961 – 2 StR 575/60, BGHSt 16, 178, 183). Hinzu kommt, dass es dort um die Schuldfähigkeit „bei Begehung der Tat“ – also der Straftat – und die Fähigkeit geht, das Unrecht der Straftat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln … Weiterlesen

Sonntagswitz: Heute zu Ehren des verstorbenen Loriot ein paar Loriotzitate

Über Loriot ist in den vergangenen Tagen ja schon eine ganze Menge geschrieben worden. Wir wollen ein paar seiner Zitate ins Gedächtnis rufen:

Aber ich bewundere Frau Merkel, die, neben ihrem politischen Geschick, auch in der Entgegennahme internationaler Handküsse eine gesellschaftliche Überlegenheit beweist, die heute selten geworden ist.

Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen.

Der Mensch ist das einzige Wesen, das im Fliegen eine warme Mahlzeit zu sich nehmen kann.

Die Rechtschreibreform ist gut, für Leute, die nicht lesen und schreiben können.

Möpse sind mit Hunden nicht zu vergleichen. Sie vereinigen die Vorzüge von Kindern, Katzen, Fröschen und Mäusen.

Mit 70 muss man damit rechnen, aus biologischen Gründen vertragsbrüchig zu werden.

mehr noch hier bei Focus-online und hier.

Wochenspiegel für die 33. KW – mal wieder etwas Kachelmann, einen Akteneinsichtsdiscount und die „Buttonlösung

Wir berichten heute über:

  1. Kachelmann, mal wieder,
  2. einen Akteneinsichtsdiscounter,
  3. die Button-Lösung des BMJ, vgl. auch hier und hier.
  4. Terminsverlegung,
  5. Unschuldig im Sinne der Anklage,
  6. Wichtiges für die Verteidigung von Filesharern,
  7. Verspätung dank Untersuchungshaft,
  8. Justiz mit Preisschild,
  9. Irrsinn: Essen im Stehen 7 %, im Sitzen 19 %, jedenfalls bei der Currywurst 🙂
  10. und dann war da noch die Seite: smsvongesternacht.

Fahrzeuge der Unfallforschung als „Sonderfahrzeuge“?

Das OLG Celle, Urt. v. 3. 8. 2011 – 14 U 158/10 setzt sich im Zivilrecht mit der Frage auseinander, ob Fahrzeuge der Unfallforschung als Sonderfahrzeuge i.S. des § 35 StVO angesehen werden können mit der Folge, dass sie die Rechte aus § 35 StVO für sich in Anspruch nehmen dürfen. Das OLG sagt in seiner Entscheidung „Nein“, und zwar mit folgenden Leitsätzen:

  1. Im Hinblick auf die mit der Wahrnehmung von Sonderrechten verbundenen erheblichen Gefährdungen ist der Anwendungsbereich des § 35 StVO, auch weil er eine Ausnahmevorschrift darstellt, eng auszulegen.
  2. Fahrzeuge der Unfallforschung fallen nicht in den in § 35 StVO genannten Kreis der Sonderrechtsfahrzeuge.
  3. Die gem. § 35 Abs. 1 und Abs. 5 a StVO Begünstigten sind zwar an sich von der Einhaltung jeder Verkehrsvorschrift – also auch der Grundregel des § 1 StVO – freigestellt. Diese Sonderstellung gibt aber keine Vorfahrt gegenüber dem übrigen Verkehr, sondern nur die Berechtigung, die allgemeinen Verkehrsregeln mit größtmöglicher Sorgfalt zu missachten.

Die Entscheidung hat dann auch Auswirkungen auf den OWi-Bereich.

Geständige Einlassung und kooperatives Verhalten – Auswirkungen auf die Strafzumessung

Der BGH, Beschl. v. 15.06.2011 – 4 StR 224/11 erörtert eine Strafrahmenverschiebung im Falle einer geständigen Einlassung und kooperativen Verhaltens und hält diese für notwendig.

Anlass zu einer Erörterung einer Strafrahmenverschiebung bestehe, wenn sich der Angeklagte bereits im Ermittlungsverfahren im Wesentlichen geständig eingelassen und sein kooperatives Verhalten maßgeblichen Anteil an der Ermittlung bislang unbekannter Täter gehabt habe. Ein solcher Anlass liegt auch dann vor, wenn der Täter Taten offenbart, an denen er selbst nicht beteiligt war.

Und: Ein Aussagenotstand ist auch dann zu prüfen, wenn die Beweisperson ein Aussage- bzw. Auskunftsverweigerungsrecht hatte.