Archiv für den Monat: Dezember 2010

Wie lange braucht man eigentlich, um 10 Seiten neuen Urteilstext zu lesen?

Manchmal merkt Revisionsentscheidungen des BGH die Verärgerung des Senats über das Instanzgericht an bzw. kann sie deutlich zwischen den Zeilen spüren. So auch in dem Beschl. v. 27.10.2010 – 2 StR 331/10, in dem es mal wieder um die Versäumung der Urteilsabsetzungsfrist des § 275 StPO gegangen ist. Der Vorsitzende der Strafkammer hatte die Unterschrift eines inzwischen an ein AG abgeordneten Richters ersetzt und das damit begründet – so seine Stellungnahme in der Revision: -, dass der zweite Beisitzer S. sei seit dem 1. März 2010 an das Amtsgericht Bad Arolsen versetzt gewesen sei Nach Fertigstellung des Urteilsentwurfs durch den Berichterstatter am 5. März 2010 und nach Durchsicht des Urteils durch ihn selbst am 10. März 2010 habe er jeweils bei S. angerufen. Dieser habe ihm mitgeteilt, infolge Arbeitsüberlastung beim Amtsgericht und wegen eines noch abzusetzenden umfangreichen Schwurgerichtsurteils bis zum Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist nicht zur Lektüre des Urteils und zur Unterschrift in der Lage zu sein. Weil ihm ein weiteres Zuwarten bis zum Ende der Absetzungsfrist sinnlos erschienen sei und weil es sich zudem hinsichtlich eines nicht revidie-renden Mittäters um eine Haftsache gehandelt habe, habe er einen entsprechenden Verhinderungsvermerk betreffend den Richter S. angebracht.

Dem BGH gefällt/genügt das nicht und er führt dazu aus:

„Voraussetzung ist aber stets, dass sich der Vorsitzende ernsthaft darum bemüht hat, dem in § 275 Abs. 2 Satz 1 StPO formulierten Gebot, dass das Urteil von allen mitwirkenden Berufsrichtern zu unterschreiben ist, Geltung zu verschaffen. Bei der Unterzeichnung eines Strafurteils handelt es sich nämlich um ein dringliches unaufschiebbares Dienstgeschäft, weshalb der Vorsitzende verpflichtet ist, rechtzeitig organisatorische Vorsorge für die Erfüllung dieser Pflicht zu treffen (BGH NStZ 2006, 586). Hier kommt hinzu, dass der Schuldspruch nach Bestätigung durch den Bundesgerichtshof bereits feststand. Die Urteils-gründe umfassten zwar 113 Seiten, wovon allerdings 3 ½ Seiten auf das Rubrum entfielen und 87 Seiten lediglich ein Abdruck der rechtskräftigen Fest-stellungen des ersten Durchgangs waren. Weitere 11 Seiten entfallen auf wört-liche Wiedergaben der Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten, die bereits im ersten Urteil enthalten waren. Die neue Beweiswürdigung umfasst 3 ½ Seiten, die Strafzumessung für die drei nicht rechtskräftig Verurteilten insgesamt 5 Seiten. Die substantiell neuen Teile der Urteilsgründe umfassten somit insgesamt weniger als 10 Seiten. Vor diesem Hintergrund hätte der Vorsitzende in dem Zeitraum zwischen Urteilsverkündung am 17. Februar 2010 bis zur Umsetzung des Proberichters am 1. März 2010 Absprachen mit diesem zur Sicherstellung der Unterschriftsleistung treffen müssen, was auch dem Beschleunigungsgebot in idealer Weise Rechnung getragen hätte. Jedenfalls aber hätte er nach Fertigstellung des Urteilsentwurfs durch den Berichterstatter die von dem Proberichter behauptete überlastungsbedingte Verhinderung nicht ohne weiteres hinnehmen dürfen, sondern die behauptete dienstliche Belastung oder Tätigkeit des Proberichters im Hinblick darauf bewer-ten und gewichten müssen, dass es sich bei der Mitwirkung an der Fertigstellung des Urteils um ein unaufschiebbares Dienstgeschäft handelte. So ist es schlechterdings unvorstellbar, dass der an das Amtsgericht versetzte Richter in dem gesamten Zeitraum gegenüber seiner Pflicht zur Mitwirkung an der Urteilsabfassung vorrangige Dienstgeschäfte wahrzunehmen hatte. Im Ergebnis die-ser Überprüfung hätte der Vorsitzende gegenüber dem umgesetzten Richter der Lektüre und Unterzeichnung des Urteilsentwurfs innerhalb der noch zur Verfügung stehenden Zeit bis zum 24. März 2010 höheres Gewicht geben müs-sen; gegebenenfalls hätte er dem Richter einen Urteilsentwurf auch bereits am 5. März 2010 per Fax oder E-Mail zuleiten können, damit diesem ein noch grö-ßerer Bearbeitungszeitraum zur Verfügung gestanden hätte. Wenn eine Über-prüfung nach diesem Maßstab tatsächlich eine permanente Überbelastung des Proberichters mit dringlicheren Dienstgeschäften ergeben hätte, hätte der Vor-sitzende über die Justizverwaltung auf eine Entlastung des Proberichters hin-wirken können, die diesem eine Mitwirkung an der Urteilsabfassung ermöglicht hätte. Aus dem Vermerk des Vorsitzenden ergibt sich, dass er den Maßstab für die Beurteilung der Verhinderung, der sich an der Bedeutung der Mitwirkung der beteiligten Berufsrichter an der Fassung der Urteilsgründe orientiert, verkannt hat. „

Man könnte auch schreiben: Nun mach nicht so ein Theater um 10 Seiten, sondern nimm dir mal ein Beispiel an Verteidigern, denen nicht selten von den Gerichten zugemutet wird, im Rahmen der gewährten Akteneinsicht, Aktenberge innerhalb einer Frist von 3 Tagen zu lesen.

Zement in der Rechtsprechung des BGH – weiter geht es mit der Konnexität

Es wird ja immer wieder  beklagt, dass der BGH sich nicht bzw. nicht ausreichend mit den gegen seine Rechtsprechung in der Wissenschaft vorgetragenen Bedenken auseinander setzt. Ein „schönes“ Beispiel ist m.E. der Beschl. v. 03.11.2010 – 1 StR 497/10, in dem es um die Ablehnung eines Beweisantrages ging. In dem Zusammenhnag spielten die m.E. strittigen Fragen um die sog. Konnexität eine Rolle. Der BGH geht ja davon aus, dass die Konnexität ggf. eine/die 3. Voraussetzung für einen ordnungsgemäßen Beweisantrag ist, zu der vorgetragen werden muss. Zu den Bedenken, die gegen diese Auffassung vorgetragen werden, kein Wort. Sondern, es wird m.E. noch eins drauf gesetzt, wenn aausgeführt wird, dass dann, wenn es – nach Auffassung des BGH – der Darlegung der Konnexität bedarf, der Antragsteller die Tatsachen, die diese begründen sollen, bestimmt zu behaupten hat.

PC im Strafvollzug – das gibt es nicht

Nach dem Beschl. des OLG Hamm. v. 17.08.2010 – 1 Vollz (Ws) 255/10 kann einem Strafgefangenen der Besitz eines Computers versagt werden. Denn von einem in der Vollzugsanstalt betriebenen Computer gehe – so OLG – generell eine ganz erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt aus, da er geeignet und bestimmt ist, Daten auf elektronischem Wege zu verarbeiten und zu übertragen. Schon bei Vorhandensein von nur zwei Geräten in einer Vollzugsanstalt bestehe die nahe liegende Gefahr unerlaubter Übermittlung von Daten und Nachrichten mannigfacher Art. Zudem ist die Gefahr, dass über einen Datenaustausch mit der Außenwelt insbesondere auch Kenntnisse über die Sicherheitsvorkehrungen der Anstalt, Fluchtpläne oder Fluchtmöglichkeiten an Dritte weitergegeben werden, nicht kontrollierbar.

Ich lege dich an die Kandare, oder: Autofahren verboten

Führungsaufsicht ist bei den Verurteilten mehr als unbeliebt, denn sie führt ja dazu, dass man weiterhin von der Führungsaufsichtsstelle/Bewährungshelfer überwacht wird. Erst recht unbeliebt wird die Führung, wenn als Weisung ein allgemeines Verbot der Haltung und Führung von Kraftfahrzeugen aufgenommen wird. Ob das geht, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Das OLG Frankfurt hat diese Weisung im Sommer zumindest dann als zulässig angesehen, wenn vom erkennenden Gericht die Voraussetzungen der Entziehung und Sperre der Fahrerlaubnis bejaht wurden und eine entsprechende Anordnung getroffen wurde (nachzulesen mi weiteren Nachweisen zum Streitstand im Beschl. v. 10.08.2010 – 3 Ws 423/10).

Absehen vom Fahrverbot beim Fahranfänger, geht das?

Das AG hatte in dem der Entscheidung des OLG Bamberg vom 29. 11. 2010 – 3 Ss OWi 1756/10 zugrundeliegenden Urteil von einem Fahrverbot beim Betroffenen, der noch Fahranfänger war, abgesehen und das damit begründet, dass auf den Betroffenen ja Maßnahmen im Rahmen des § 2a StVG zukommen,  er insbe­son­dere mit der Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar und mit der Verlänge­rung der Probezeit, zu rechnen habe. Die StA hat diese amtsgerichtliche Auffassung vom OLG überprüfen lassen. Das OLG sagt: Geht nicht und ist unzulässig, das Fahrverbot nach § 25 StVG und Maßnahmen nach § 2a StVG eine unterschiedliche Zielrichtung haben. Liegt auf der Linie der obergerichtlichen Rechtsprechung, insbesondere der des OLG Bamberg.