Archiv für den Tag: 13. Dezember 2010

Vollrausch heißt: Richtig voll und nicht nur ein bißchen

In seinem Beschl. v. 10.11.2010 – 4 StR 386/10 hat der BGH das Verfahren gegen den Angeklagten eingestellt, soweit dieser vom LG wegen Vollrausches (§ 323a StGB) verurteilt worden war. Und zwar mit folgender Begründung:

Soweit dem Angeklagten im Fall C II. der Urteilsgründe ein vorsätzlicher Vollrausch zur Last gelegt worden ist, stellt der Senat das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts aus verfahrensökonomischen Gründen nach § 154 Abs. 2 StPO ein, weil die Urteilsgründe einen Rausch des Angeklagten im Sinne des § 323a Abs. 1 StGB nicht belegen. Der Anwendbarkeit des § 323a StGB steht zwar nicht entgegen, dass der Zustand der (möglichen) Schuldunfähigkeit nicht allein durch den Alkohol, sondern erst durch das Hinzutreten weiterer Ursachen herbeigeführt worden ist. Der objektive Tatbestand des § 323a Abs. 1 StGB setzt jedoch voraus, dass der Zustand des Täters seinem ganzen Erscheinungsbild nach als durch den Genuss von Rauschmitteln hervorgerufen anzusehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juni 1976 – 3 StR 155/76, BGHSt 26, 363, 364 ff.; Beschluss vom 18. August 1983 – 4 StR 142/82, BGHSt 32, 48, 53; Urteil vom 26. Juni 1997 – 4 StR 153/97, NJW 1997, 3101, 3102; Beschluss vom 9. Juli 2002 – 3 StR 207/02, BGHR StGB § 323a Abs. 1 Rausch 4; SSW-StGB/Schöch § 323a Rn. 10; Fischer, StGB, 57. Aufl., § 323a Rn. 13). Einen solchen alkoholbedingten Rauschzustand des Angeklagten hat der Tatrichter, der im Rahmen der Beweiswürdigung vom Konsum von drei bis vier Flaschen Bier und einer leichten Alkoholisierung des Angeklagten ausgegangen ist, nicht dargetan.“

Ein bißchen betrunken sein, reicht also für den § 323a StGB nicht. Aber das haben wir ja an sich auch schon vor dieser Entscheidung gewusst…

Die gebotene Zurückhaltung ist zu wahren, wenn…

…Gespräche über eine Verfahrensbeendigung außerhalb der Hauptverhandlung geführt werden, vor allem, wenn daran nicht alle Verfahrensbeteiligten beteiligt sind. Der BGH hat auf diese Selbstverständlichkeit in seinem Beschl. v. 05.10.2010 – 3 StR 287/10 nachdrücklich in einer „Segelanweisung“ hingewiesen. Dazu heißt es dort:

„Zwar ist es einem Richter auch nach den Vorschriften des am 4. August 2009 in Kraft getretenen Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBI I S. 2353) grundsätzlich nicht verwehrt, zur Förderung des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten auch außerhalb der Hauptverhandlung Kontakt aufzunehmen. Dabei hat er jedoch die gebotene Zurückhaltung zu wahren, um jeden Anschein der Parteilichkeit zu vermeiden. Dies gilt mit Blick auf einen möglichen Interessenwiderstreit in besonderem Maße, wenn Gespräche über eine verfahrensbeendende Absprache mit einem Angeklagten unter Ausschluss eines vom selben Tatkomplex betroffenen, von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machenden oder die Tatvorwürfe bestreitenden Mitangeklagten geführt werden. In solchen Fallkonstellationen liegt es nahe, dass bei dem an dem Gespräch nicht beteiligten Mitangeklagten berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richter aufkommen können, da aus seiner Sicht zu befürchten steht, dass auch auf Betreiben des Gerichts seine Tatbeteiligung hinter verschlossenen Türen und ohne seine Kenntnis mitverhandelt wird. Dieser verständlichen Besorgnis kann zuverlässig nur dadurch begegnet werden, dass Gespräche, die die Möglichkeit einer Verständigung zum Inhalt haben, auch außerhalb der Hauptverhandlung nur in Anwesenheit aller Verfahrensbeteiligten oder offen in der Hauptverhandlung geführt werden. Gleichwohl sieht das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren keine Vorschrift vor, die Gespräche mit einzelnen Verfahrensbeteilig-ten außerhalb der Hauptverhandlung untersagt. Haben solche Erörterungen jedoch stattgefunden, muss der Vorsitzende auch bei einem ergebnislosen Ver-lauf und unabhängig davon, ob neue Aspekte im Sinne des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO zur Sprache gekommen sind, hierüber in der Hauptverhandlung umfas-send und unverzüglich unter Darlegung der Standpunkte aller beim Gespräch anwesenden Verfahrensbeteiligten informieren, da nur auf diese Weise von vorneherein jedem Anschein der Heimlichkeit und der hieraus entstehenden Besorgnis der Befangenheit vorgebeugt und dem Recht auf ein faires, rechts-staatliches Verfahren Rechnung getragen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 1990 – 3 StR 121/89, BGHSt 37, 99, 104; Schlothauer in N/Sch/W, VerstG, 2010, § 243 Abs. 4 Rn. 12 f.).“

Aus der Passage lässt sich auch erahnen, wann der BGH von Besorgnis der Befangenheit ausgehen will/wird.

Lebenslang ist manchmal wirklich lebenslang

Das AG Bochum hatte in seinem Beschl. v. 22.10.2010 – 29 AR 16/10 über einen Antrag auf Aufhebung einer lebenslangen Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis zu befinden, den der Verurteilte nach 45 (!!!) Jahren gestellt hatte. Das AG hat den Antrag zurückgewiesen. Auch nach Ablauf von 45 Jahren einer lebenslangen Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis sei diese nicht ohne Weiteres aufzuheben, wenn der Verurteilte in der Zwischenzeit verkehrsstrafrechtlich erneut aufgefallen ist und keine Anstrengungen für Nachschulungen an den Tag gelegt hat.

Klingt hart, aber in 45 Jahren kann man ja mal zur Nachschulung gehen.