Verleihe nie deinen Ausweis, denn das könnte fatale Folgen haben

Na, das habe ich bisher aber auch noch nicht gelesen bzw. der Sachverhalt, der der Entscheidung des BVerfG v. 10.09.2010 – 2 BvR 2242/09 zugrunde liegt, dürfte in der Praxis nicht so häufig vorkommen. Da wendet sich ein Verurteilter gegen die Ablehnung der Berichtigung eines Strafurteils. Er macht geltend: Er sei trotz übereinstimmender Personalien nicht die in der Hauptverhandlung erschienene und verurteilte Person und habe auch mit dem der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt nichts zu tun. Der wahre Täter und Verurteilte sei ein anderer. Er habe diesem zeitweise seinen Ausweis überlassen. Nachdem er, der Verurteilte, zur Hauptverhandlung geladen worden sei, habe ihm der wahre Täter versprochen, die Sache zu regeln.

Aber: Pustekuchen: Der wahre Täter hat sein Versprechen nicht eingehalten und sich unter falschem Namen verurteilen lassen.

Der (falsche) Verurteilte hat dann alles versucht, um dem Strafvollzug zu entgehen. Aber er hat damit keinen Erfolg. Das BVerfG hat seine Verfassungsbeschwerde gegen die vom LG Berlin abgelehnte Urteilsberichtigung verworfen. Die komme im Hinblick auf die Personalien des Verurteilten nur in eindeutigen Fällen in Betracht. Hier müsse aber in nicht unerheblichem Maße weitere Aufklärung betrieben werden, etwa durch Vernehmung des angeblich unter falschem Namen Verurteilten oder durch Gegenüberstellung mit den seinerzeitigen Verfahrensbeteiligten.

Das BVerfG lässt den Verurteilte aber nicht allein, sondern zeigt andere Wege auf:

aa) Der Beschwerdeführer kann – wie bereits das Kammergericht in seinem Beschluss vom 23. März 2004 ausgeführt hat – nach § 458 Abs. 1 StPO Einwendungen gegen die Vollstreckung des Urteils des Amtsgerichts Tiergarten vom 21. August 2003 erheben. Denn bei der Frage nach der Identität der verurteilten Person handelt es sich um eine Frage der „Auslegung eines Strafurteils“ (vgl. auch Appl, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, § 458 Rn. 12; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, § 458 Rn. 10; Wendisch, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 6, 25. Aufl. 2001, § 458 Rn. 9). Für den Fall, dass substantiierte Einwände erhoben werden, ist diesen von dem nach §§ 462, 462a StPO zuständigen Gericht nachzugehen. Im Verfahren nach § 458 Abs. 1 StPO hätte der Beschwerdeführer nicht erst bei Vorliegen einer offensichtlichen Unrichtigkeit Erfolg; hier würde es genügen, wenn nach allgemeinen Grundsätzen zur Überzeugung des Gerichts festgestellt werden könnte, dass der Beschwerdeführer nicht der richtige Verurteilte ist. Auf den im Verfahren nach § 458 Abs. 1 StPO geltenden, für den Beschwerdeführer günstigeren Prüfungsmaßstab hat auch das Landgericht Berlin bereits mit seinem Beschluss vom 12. April 2005 hingewiesen. In einem solchen Verfahren könnte eine weitere Aufklärung des Sachverhalts mithin nicht aus den in den angefochtenen Entscheidungen genannten Gründen abgelehnt werden.

Der Beschwerdeführer kann einen solchen Antrag auch jetzt noch stellen. Insbesondere steht dem eine rechtskräftige Ablehnung nicht entgegen. Im Hinblick auf die ablehnenden Beschlüsse des Amts- und Landgerichts vom 2. Februar und 31. März 2006 kann der Beschwerdeführer sich auf neue Beweismittel, nämlich die Erklärung des Herrn T., stützen. Mit den angefochtenen Beschlüssen wiederum haben Amts- und Landgericht einen Antrag nach § 458 Abs. 1 StPO nicht abgelehnt, da sie das Begehren des Beschwerdeführers nicht in diesem Sinne verstanden haben – auch wenn ein solches Verständnis oder zumindest die Erteilung eines sachdienlichen Hinweises angesichts der bisherigen Verfahrensgeschichte nicht fern gelegen hätten, zumal nach §§ 462, 462a StPO Amtsgericht und Landgericht auch für die Bescheidung eines Antrags nach § 458 Abs. 1 StPO zuständig gewesen wären, nachdem der Beschwerdeführer sich nicht in Haft befand.

bb) Ferner könnte der Beschwerdeführer, wie der Generalbundesanwalt ausgeführt hat, das Wiederaufnahmeverfahren (§ 359 Nr. 5 StPO) betreiben. Einen auf die schriftliche Erklärung des Herrn T. als neues Beweismittel gestützten Wiederaufnahmeantrag hat der Beschwerdeführer bislang nicht gestellt. Im Schrifttum wird davon ausgegangen, dass die Falschbezeichnung des Verurteilten nach Rechtskraft des Urteils mit einem Wiederaufnahmeantrag nach § 359 Nr. 5 StPO geltend gemacht werden kann (vgl. Perels, NStZ 1985, S. 538 ff., sowie Gössel, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 5, 25. Aufl. 2003, § 359 Rn. 62).

Der Zulässigkeit und den Erfolgsaussichten eines solchen Antrags stünde auch der Beschluss des Kammergerichts vom 23. März 2004 nicht von vornherein entgegen. Insofern kann dahinstehen, ob es sachgerecht war, entgegen der wohl überwiegenden Meinung (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 16. März 1983 – 2 Ws 176/83 -, MDR 1983, S. 865; Paul, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl. 2008, Vor § 296 Rn. 5a; Gössel, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 5, 25. Aufl. 2003, § 312 Rn. 3; Hanack, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 5, 25. Aufl. 2003, § 296 Rn. 2; offen BGH, Beschluss vom 9. August 1995 – 2 StR 385/95 -, NStZ-RR 1996, S. 9) eine Beschwer des nach eigenem Vortrag nur zum Schein verurteilten Beschwerdeführers zu verneinen, obwohl eine Urteilsberichtigung nicht stattgefunden hatte. Denn jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt dürfte sich nicht mehr bestreiten lassen, dass der Beschwerdeführer durch das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 21. August 2003 beschwert ist. Dies gilt jedenfalls, solange die – derzeit sehr konkrete – Gefahr einer Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem betreffenden Urteil gegen den Beschwerdeführer nicht auf andere Weise beseitigt ist.“

5 Gedanken zu „Verleihe nie deinen Ausweis, denn das könnte fatale Folgen haben

  1. Schneider

    Da meinten welche die Justiz ausgetrickst zu haben, hat wohl aber nicht ganz geklappt.
    Ist es eigentlich strafbar, seinen Ausweis zu verleihen z. b. an den Bruder, der seinen nicht findet, damit der in den von ihm gebuchten und bezahlten Flieger kommt ?
    Vielleicht interessiert das ja auch andere, habe deshalb nicht recherchiert.

  2. Denny Crane

    Das ist aber nett vom BVerfG, daß es dem Beschwerdeführer bzw. dessen (unfähigen?) Anwalt gleich die ganze Bandbreite der noch gegebenen Rechtsschutzmöglichkeiten aufzeigt und den hierfür zuständigen Gerichten noch Hinweise auf den Weg gibt, wie man die Sache zu entscheiden hat.

    Vielleicht sollte man für solche Fälle einfach einen Sequester erfinden, der im Auftrag des BVerfG persönlich den Staatsanwalt, die zuständigen Richter und den Verteidiger abholt, an einen liebevoll gedeckten Adventstisch zerrt und eine Nachhilfestunde in Sachen Strafprozeßrecht gibt. Die Beteiligten bekommen einen Klapps gegen die Hinterköpfchen und müssen hundert mal schreiben „Ich soll immer brav die StPO lesen“. Anschließend werden unter Aufsicht des Sequesters gemeinsam die notwendigen Anträge, Beschlüsse und Verfügungen mit Wachsmalstiften auf Papiertischdecken gemalt.

    Wie man häufig an Folgeentscheidungen des BVerfG sieht, bekommen es die Beteiligten in solch verfahrenen Angelegenheiten trotz eindeutiger Hinweise auch im zweiten oder dritten Anlauf nicht gebacken. Da kann wirklich nur ein Zwangsvollstrecker (Titelvorschlag: „Oberstabsfeldreferendar“ – der mit den vier Paragraphenzeichen auf dem Schulterblatt) helfen, der kurzerhand Zucht und Ordnung in die Sache bringt – bevor das nochmal sieben Jahre so weitergeht.

  3. klabauter

    @ d.c. : Der Oberstabsfeldreferendar könnte doch auch als Superrevisor tituliert und in blauen Dress und rotes Cape gewandet werden. Und gewählt wird er in einer RTL-Sendung („Deutschland sucht den Superrevisor“)

    @Schneider: Den Hinweis auf eine mögliche Strafbarkeit wegen Mißbrauchs von Ausweispapieren (281 I Var. 2 StGB) hat sich das BVerfG im Hinblick auf die wohl eingetretene Verjährung erspart.

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