Erst bezahlen, dann probieren? – Ist das so richtig?

Seit einigen Tagen berichten die Tageszeitungen über eine dpa-Meldung, in der es heißt:

Im Supermarkt erst bezahlen, dann probieren
Berlin (dpa/tmn) – Im Kaufhaus oder Discounter probieren Kunden besser keine Waren, bevor sie an der Kasse bezahlt haben. Einfach eine Flasche zu öffnen und sie im Laden zu trinken, sei erst einmal Diebstahl, sagte Rechtsanwalt Thomas Noack.
Denn die Ware wechselt erst an der Kasse den Besitzer. Das gilt auch dann, wenn der Kunde hinterher behauptet, dass er den Artikel sowieso noch bezahlen wollte. In diesem Fall wird es Noack zufolge zwar schwierig, eine subjektive Diebstahlabsicht zu unterstellen. «Es ist aber auf jeden Fall ärgerlich, wenn erst die Polizei kommt und eine Anzeige aufnimmt.» Denn ein Kunde könne sich nicht darauf verlassen, dass der Ladendetektiv oder Supermarktbesitzer einfach ein Auge zudrückt – auch wenn der Artikel überhaupt nicht teuer war. «Die eine Minute bis zur Kasse sollte sich deshalb jeder nehmen.»

Na, ist das denn so richtig? Bin mir nicht so ganz sicher. Wie ist es denn mit der rechtswidrigen Zueignungsabsicht, wenn ich an der Kasse bezahlen will. Und: Ggf. mutmaßliche Einwilligung des Ladenbesitzers. Und: Sind auch wohl zwei unterschiedliche Fallgestaltungen: Das Probieren von Waren (z.B. Obst) und das Öffnen und Austrinken einer Flasche, die man dann beszahlen will.

Das wäre doch mal was für die mitlesenden Studenten. Die müssten solche wichtigen Fragen doch aus der lockeren Hand lösen können.

18 Gedanken zu „Erst bezahlen, dann probieren? – Ist das so richtig?

  1. mitlesender Student

    Ich würd sagen, das die objektiven TB -vor. erfüllt sein dürften, da eine entgültige Enteignung durch das Trinken / Essen gegeben sein dürfte. Nur müsste für eine Beendigung dann wohl doch noch ein Überqueren der Kasse, ohne zu bezahlen hinzutreten. (oder?)
    Ob widerum eine mutmaßliche Einwilligung des Ladeneigentümers vorliegt, mag ich nun doch bezweifeln. (Oder worin wollen Sie diese erkennen?)

    Abgesehen davon, dürfte das Ganze nicht allzu Realitätsnah sein, ich trinke regelmäßig ein den meist langen Schlangen in hiesigen Realkauf eine Flasche aus den Kühlregalen und wurde bisher NIE darauf angesprochen. ( Auch nicht beim Bezahlen der leeren Flasche an der Kasse).

  2. ct

    Ich denke, die zitierte Textpassage beschreibt die Sachlage juristisch korrekt.

    Der objektive Diebstahlstatbestand ist erfüllt, da durch den Verzehr unproblematisch eine Wegnahme vorliegt. Auf eine mutmaßliche Einwilligung kommt es insoweit nicht an. Liegt eine tatsächliche Einwilligung vor, so fehlt es an der Wegnahme, da die Einwilligung tatbestandsausschließend wirkt. Geht der Täter irrtümlich von einer Einwilligung aus (das wäre dann wohl eine mutmaßliche Einwilligung), gelangt man folgerichtig zum Tatbestandsirrtum, der dann den Vorsatz entfallen lässt. Für eine Einwilligung besteht hier allerdings m.E. kein Raum, da der Ladeninhaber tatsächlich kein Interesse am Verzehr unbezahlter Ware hat und insoweit auch keine Indizien bestehen. Allein der Umstand, dass das von einigen Leuten gelegentlich getan und wohl auch stillschweigend toleriert wird, enthält m.E. kein verallgemeinerungsfähriges Präjudiz.

    Der Vorsatz bzgl. des objektiven Tatbestands ist ebenfalls unproblematisch gegeben, sofern der „Täter“ wie gesagt nicht irrtümlich von einer Einwilligung ausgeht.

    Beabsichtigt der „Täter“ allerdings, die Ware später zu bezahlen, so fehlt es an der erforderlichen Absicht der rechtswidrigen Zueignung. Es liegt also im Ergebnis keine Strafbarkeit wegen Diebstahls vor.

    Wie allerdings zutreffend schon im Beitrag steht, könnte es hier zu Beweisproblemen können. Die Aussage man habe ja noch bezahlen wollen, könnte als Schutzbehauptung ausgelegt und die rechtswidrige Zueignungsabsicht unterstellt werden. Es wird also erstmal unangenehm, denn die Polizei könnte herbeigerufen werden und würde dann wohl die Anzeige aufnehmen. Natürlich ist eine spätere Einstellung oder ein Freispruch nicht unrealistisch, aber wer wird es darauf ankommen lassen wollen?

  3. gaudeamus igitur

    1. Wieso entfällt die Absicht rechtswidriger Zueignung, wenn der Täter die Sache später (!) zu kaufen beabsichtigt? Der Täter bildet sich einen nicht existenten Rechtfertigungsgrund ein, d.h. vermeidbarer Verbotsirrtum, bestenfalls Strafmilderung.

    2. Müssten die „erwachsenen“ Juristen die Fällchen, an denen die Erstsemester das Subsumieren üben, nicht erst recht lösen können?

    3. Ist das jetzt wirklich weniger wichtig als die hier gerne in extenso erörterten Vergütungsfragen?

  4. MM

    mal ne blöde Frage,
    aber war es nicht im Supermarkt so bei der Auslegware, dass es sich nicht um ein invitatio ad offerendum sondern um ein verbindlichen Angebot handelt?

    Wenn ich die Sache in den Einkaufswagen oder die Flasche an den Mund ansetze habe ich das Angebot angenommen.
    Kaufvertrag geschlossen, gut – Trennungs- und Abstraktionsprinzip. Letzendlich kommt man dann wohl doch wieder auf den Tatbestandsirrtum.

  5. Malte S.

    Ähm, ich würde schon im objektiven Tatbestand die Frage stellen, ob nicht die Aufhebung fremden Gewahrsams mit Willen des Ladenbetreibers erfolgte. Wenn dieser nämlich in den Verzehr im Geschäft grnds. einwilligt („Ein Würstchen in die Hand“), dann liegt schon kein Bruch und damit keine Wegnahme vor. Das ist selbstverständlich im Einzelfall festzustellen.
    Die Verkehrsauffassung kann mE eine solche Einwilligung grnds. als gegeben annehmen, so dass ggf. zumindest der Vorsatz bzgl. der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes abzulehnen ist. Auch damit entfällt die Strafbarkeit – dogmatisch abhängig davon, wie man den ETI handhaben möchte.

  6. Malte S.

    @MM: Nach h.M. kommt der Kaufvertrag erst an der Kasse zustande. Angebot erfolgt dabei durch den Kunden i.d.R. konkludent zu den für den Kunden ersichtlichen Konditionen; d.h. ausgeschilderter Preis usw. Die Annahme erfolgt konkludent durch das einscannen, ggf. noch „durchreichen“ der Ware.
    Die Übereignung erfolgt i.d.R. erst nach dem Bezahlen, was einige Unternehmen – auch Supermärkte – teilweise sogar ausdrücklich in ihren höchst wirksamen aber versteckt angebrachten AGB 😉 regeln.

    Andernfalls müsste man für das Zurückstellen ins Regal – egal aus welchem Grund – auch entweder ein vertraglich vereinbartes Rücktrittsrecht annehmen oder aber den Grundsatz pacta sunt servanda brechen.

  7. Uta Beitlich-Thommes

    Unabhängig von meinen Vorrednern noch soviel:

    Aufgrund der immer noch laufenden Fernseh-Werbung eines der größeren Discounters in disem Land muss der sehende Kunde von einem Einverständis des Inhabers des Geschäftes ausgehen. Dort werden von Kunden schließlich im Laden Obst, Produkte aus dem Kuhlregal usw. gegessen und alle sind fröhlich, einschlielich des Personals.

    Vielleicht kann diese Werbung sogar aus Aufforderung zu einem derartigen Verhalten gesehen werden, bei Beurteilung des Verhaltens als Diebstahl wäre dies doch wohl als Anstiftung zur Begehung einer Straftat einzuordnen 🙂

  8. Henning Ernst Müller

    Der Lösung ist man ja hier näher gekommen, allerdings lässt bei einigen Kommentaren die Terminologie etwas zu wünschen übrig:
    Noack schreibt: „Denn die Ware wechselt erst an der Kasse den Besitzer. Das gilt auch dann, wenn der Kunde hinterher behauptet, dass er den Artikel sowieso noch bezahlen wollte.“ Hier verwechselt wohl jemand Eigentum und Besitz, ein bisschen peinlich. Das Problem ergibt sich doch gerade deshalb, weil im Falle des Verzehrs Besitz (strafrechtlich: Gewahrsam) eben doch VOR der Kasse die Bezugsperson wechselt.
    Zudem geht es nicht um Einwilligung oder gar „mutmaßliche Einwilligung“ als Rechtfertigungsgründe, sondern im Tatbestand des Diebstahls um das „Einverständnis“ des bisherigen Gewahrsamsinhabers. Dieses muss (anders als eine Einwilligung) nicht erklärt werden, es genügt vielmehr ein faktisches Einverständnis, um einen Gewahrsamsbruch zu verneinen und damit den Tatbestand auszuschließen. In vielen Supermärkten ist ein solches faktisches Einverständnis zu beobachten: Die Angestellten reagieren nicht oder nicken sogar freundlich.
    Also stehen einer Anklage oder gar Verurteilung wegen Diebstahls doch einige Hindernisse entgegen:
    1. obj. Tatbestand nicht erfüllt, wenn faktisches Einverständnis bestand
    2. Wegnahmevorsatz nicht gegeben, wenn dieses Einverständnis irrtümlich vom Kunden angenommen wurde
    3. Absicht rechtsw. Zueignung nicht gegeben, wenn Kunde vorhatte, die Ware zu bezahlen.

    Will man natürlich in jedem Fall irgendwelchen Ärger vermeiden, sollte man vorher fragen und alles vermeiden, was Verdacht erregen könnte (dann möglichst in Badehose zum Shoppen gehen).
    Besten Gruß
    Henning Ernst Müller

  9. Ref.iur.

    Ich hatte tatsächlich mal einen so ähnlichen Fall in einer Hausarbeit, wobei der Täter dort allerdings von Anfang an nicht zahlen wollte.

    Objektiv gesehen, ist das Verhalten m.E. auf jeden Fall strafbar. Bei einem juristisch nicht gebildeten Täter wird es allerdings i.d.R. am subjektiven Tatbestand scheitern. Andernfalls kommt man dem Problem nur mit § 248a StGB und den §§ 153, 153a StPO bei.

    Im Einzelnen:

    1. Obj. TB:

    Ein tatbestandsausschließendes Einverständnis kommt nicht in Betracht. Grds. ist zwar möglich, dass ein Einverständnis unter einer Bedingung steht, dabei muss es sich aber um eine obj. Bedingung handeln (z.B. ordnungsgemäße Bedienung des Warenautomaten). Ein Einverständnis kann aber nicht unter einer subjektiven Bedingung – wie z.B. der Zahlungsbereitschaft – erteilt werden, da hierdurch die Grenze zwischen Betrug und Diebstahl verwischt würde (h.M., Schönke/Schröder-Eser/Bosch, StGB, 28. Aufl. 2010, § 242 Rn. 36a)
    Kommt ein bedingtes Einverständnis nicht in Betracht, so scheitert die Annahme eines unbedingtes Einverständnis wohl am entgegen stehenden Willens des Gewahrsamsinhabers, da der Supermarktleiter kein Interesse daran hat, den Konsum zuzulassen unabhängig davon ob die Leute bezahlen wollen.

    2. Subj. TB:

    a)Zueignung
    Die Zueignung ist rechtswidrig. Der Kunde hat nämlich kein Recht darauf, die von ihm ausgewählte Ware zu essen oder später zu erwerben. Der Kaufvertrag kommt erst an der Kasse zustande und bis dahin unterliegt der Supermarktinhaber keinem Kontrahierungszwang.

    b) Vorsatz
    Ein juristisch unbefangener Kunde wird i.d.R. von einem tatbestandsausschließenden Einverständnis ausgehen, so dass ein Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1 StGB in Betracht kommt. Des Weiteren kommt natürlich in Betracht, dass ein juristischer Laie sich über das Recht zum Erwerb der auserwählten Ware irrt, was ebenfalls zu einem Tatbestandsirrtum führen würde (Stichwort: „Moos raus“-Fall, BGH, NJW 1962, 971).

  10. nutella

    ich bin zwar staatlich anerkannt kein strafrechtsexperte, aber mir fallen dazu doch ein paar sachen ein:
    1. meines erachtens geschieht beim austrinken, essen etc. eigentumserwerb durch den kunden. und zwar gesetzlicher (vermischung, vermengung…). ob bei dem zeitlichen ablauf da noch zeit ist für einen gewahrsamswechsel und wann der stattfindet, ist zweifelhaft und wäre wohl extrem künstlich. dann kommt es auf die übereignung an der kasse nicht mehr an, die kann nicht mehr stattfinden.
    2. das wiederum impliziert, dass wohl im moment des verzehrs nach objektiver betrachtung ein kaufvertrag zustande gekommen sein dürfte. für einen inneren vorbehalt des kunden dürfte da kein raum sein, der muss sich schon ium verhalten äußern. der verzehr im laden reicht da nicht, der ist neutral.
    3. das bedingte einverständnis – und zwar nicht der zahlungsbereitschaft, sondern der tatsächlichen bezahlung – dürfte auch gegeben sein. dem ladenbesitzer ist es wohl ziemlich egal, wann und wo seine sachen verzehrt werden, hauptsache sie werden bezahlt.
    ob das nun betrug oder diebstahl ist, ist nebensächlich. eins von beidem ist es.
    4. die frage ist sowas von theoretisch, weil kein ladenbesitzer die kunden VOR passieren des kassenbereichs anzeigen wird. sonst wird der kunde schnell zum ex-kunden. und einige andere auch.

  11. Justitius

    Ich muss gestehen, dass ich die ganze Diskussion nicht verstehe, denn mit dem Verzehr vor der Bezahlung sind sämtliche Tatbestandselemente erfüllt:
    1. Dass Lebensmittel bewegliche Sachen sind, ist unstrittig,
    2. fremd sind sie auch zweifellos, da ganz offensichtlich sämtliche Vorräte eines Supermarktes oder grundsätzlich jeden Geschäfts zumindest im Miteigentum des Landeneigentümers stehen.
    3. Ganz offensichtlich hat der „Täter“ auch die Absicht, sich die Sache selbst zuzueignen,
    4. Ist eine Wegnahme dann gegeben, wenn fremdes Gewahrsam gebrochen und neues Gewahrsam begründet wird, was auch völlig unstrittig der Fall ist und
    5. fehlt es ganz schlicht und ergreifend an einem Rechtfertigungsgrund für die Tat, womit auch die Rechtswidrigkeit gegeben ist!
    Ich kürze das zivilrechtliche mal ab: Aber, ob man nun durch das Bezahlen später doch noch Eigentümer dessen, was man verzehrt hat, wird, bleibt bis zum Bezahlen völlig irrelevant. Bis zum Bezahlen hat man sich eines Diebstahls gemäß §242 StGB strafbar gemacht!
    Dass man nicht jedesmal angezeigt wird, wenn man etwas von den waren im Laden „nascht“, liegt einfach an dem, was nutella unter 4. geschrieben hat.
    da brauchts gar nicht so vieler Diskussion hier.

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