Der Igel und die Waffengleichheit im Strafverfahren

Der Kollege Siebers berichtet unter der Überschrift „Igelplage“ mal wieder über einen „Igel“ 🙂 = eine nicht erfolgte Pflichtverteidigerbestellung, obwohl beim Vorwurf der gefährlichen, weil gemeinschaftlichen, Körperverletzung mehrere der mitangeklagten Heranwachsenden verteidigt sind.

Wenn man das liest, fragt man sich, wenn nicht jetzt, wann dann? Das ist doch wohl inzwischen einer der klassischen Fällen, in denen beizuordnen ist. Verwiesen sei dazu auf:  LG Kassel, Beschl. v. 11. 2. 2010 – 3 Qs 27/10; LG Kiel StV 2009, 236 und LG StV 2001, 107; Beck-OK-Wessing § 140 StPO, Rdn. 17). Von Bedeutung sind in dem Zusammenhang aber auch noch OLG Celle StV 2006, 686; OLG Hamm StRR 2008, 346 = StV 2009, 85; LG Freiburg vom 12.03.2008 – 6 Qs 12/08 E. Hw.; LG Köln, Beschl. v. 24.06.2009, 111 Qs 312/09) Abgestellt wird in diesen Entscheidungen i.d.R. auf das Prinzip der Waffengleichheit. Ein Teil diser Entscheidungen ist auch gerade im JGG-Verfahren ergangen (so z.B. OLG Hamm, a.a.O.). Man fragt sich: Wird das alles nicht gelesen?.

Und einer der Kommentatoren bei dem Kollegen meint:

Der Igel gehört da auch hin. Großzügigkeit nach dem Motto „Ist doch nicht mein Geld“ ist jedenfalls fehl am Platze.“

Die Frage der Beiordnung hat doch nichts mit Großzügigkeit zu tun, sondern damit, ob der Pflichtverteidiger notwendig ist. Im Übrigen. Hier kehrt sich die „Sparsamkeit“ um. Denn das nun anstehende Beschwerdeverfahren kostet Geld, das man sich gut und gerne sparen könnte.

Ach so: Wahrscheinlich kommen jetzt wieder Kommentare, dass Amtsrichter das nicht alles lesen können. Die kann man sich sparen. Ich meine, sie müssen ( (ich verweise ja gar nicht auf mein Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 5. Aufl., 2010, Rn. 1248 m.w.N.). 🙂

8 Gedanken zu „Der Igel und die Waffengleichheit im Strafverfahren

  1. klabauter

    Wie beurteilen Sie denn dann das „Pflichtverteidigerkarussell“:
    Mitangeklagter A nimmt einen Wahlverteidiger. B macht geltend, jetzt müsse ihm ein Pflichtverteidiger aus Gründen der Waffengleichheit bestellt werden. Das geschieht. Wahlverteidiger des A legt jetzt nieder und A beantragt Pflichtverteidigerbestellung, weil ja B jetzt einen Pflichtverteidiger hat und er aus Gründen der Waffengleichheit auch einen Verteidiger braucht?

    Lösung:
    1) Pflichtverteidiger B wird wieder entpflichtet, da der Grund „Waffengleichheit“ durch Niederlegung A weggefallen ist, Antrag auf Bestellung PflVtg. A wird abgelehnt

    oder
    2) A wird ein Pflichtverteidiger bestellt?

  2. Denny Crane

    Lösung 1) ist m.E. richtig. Wenn der Grund für die Bestellung für B nur der Umstand war, daß A einen Verteidiger hat und kein sonstiger Grund für eine Pflichtverteidigung vorliegt, ist entsprechen dem Rechtsgedanken des § 140 Abs. 3 Satz 1 StPO wieder zu entpflichten. Allerdings könnte ja jederzeit (§ 137 Abs. 1 Satz 1 StPO) wieder einer der beiden Angeklagten einen Wahlverteidiger nehmen, womit das Spiel von vorne losginge. Allerdings habe ich einen solchen Fall noch nicht erlebt.

  3. klabauter

    Wenn man konsequent ist:
    Meinen Sie mit „man“ das Gericht oder meinen Sie die offensichtlichen Manipulationen von Verteidigerseite in meinem Beispiel?
    Konsequent wäre es doch, derartige Spielchen zu unterbinden. Wenn das Argument Waffengleichheit weggefallen ist, weil der Wahlverteidiger niedergelegt hat, besteht kein Anlass für eine Pflichtverteidigerbestellung des Ex-Wahlverteidigers.
    Nach Ihrer Konsequenzvorstellung müssen zwei Pflichtverteidiger aus Steuergeldern bezahlt werden (dass der Ex-Wahlverteidiger seinen Vorschuss bei der Gebührenabrechnung angeben muss, ist schon klar), obwohl keinerlei gesetzlicher Grund für eine Pflichtverteidigerbestellung besteht (ich gehe im Beispielsfall davon aus, dass außer dem Waffengleichheitsargument keine sonstigen Beiordnungsgründe vorliegen), sondern man einen Argumentationszirkel (wenn A, dann B, jetzt nicht mehr A, aber B bleibt, dann aber doch wieder A, weil B) herbeigetürkt hat.

  4. Detlef Burhoff

    Ich weiß nicht, warum dauernd davon ausgegangen wird, dass Verteidiger nichts anderes zu tun haben, als sich zu überlegen, wie man die Staatskasse betrügen kann. ich bin mehr als 20 Jahre Richter gewesen, kann mich aber an solche Manipulationen nicht erinnern und auch nicht daran, dass mir Kollegen darüber berichtet haben. Woher nehmen Sie Ihr Wissen? 🙁

  5. Denny Crane

    Formal halte ich den Standpunkt von Klabauter für zutreffend. Allerdings ist die dahinterstehende Überlegung recht vorurteilsbehaftet. Erstens sind Richter nicht die Hüter der Staatskasse. Zudem wird der arme Steuerzahler wird immer nur bei der Pflichtverteidigerbestellung bemüht, nicht hingegen, wenn es gilt, zulasten des Steuerzahlers massenhaft Gutachten und Zeugen herbeizuschaffen, die ein Vielfaches der Pflichtverteidigergebühren ausmachen. Noch nie habe ich ein richterliches Lamento darüber gehört, daß ein Sachverständiger 85,- Euro die Stunde dafür abrechnet, daß er die Akten tagelang durchblättert oder daß ein Zeuge viermal 700 km durch die halbe Republik anreisen muß.

    Die Pflichtverteidigervergütung macht zumeist nur einen geringen Anteil der Verfahrenskosten aus. Diese Kosten werden im Falle der Verurteilung ohnehin dem Angeklagten auferlegt. Also was kümmert Klabauter und viele Richter die damit verbundenen Kosten? Eine solche Haltung kann man angesichts der sonstigen Verfahrenskosten und im Hinblick auf die Tatsache, daß die übrigen professionellen Verfahrensbeteiligten ebenfalls aus der Staatskasse vergütet werden, nur an den Tag legen, wenn man generell etwas gegen Verteidiger hat oder nicht im Ansatz über volks- und betriebswirtschaftliche Kenntnisse verfügt.

    Im übrigen gehört es wirklich nicht zum gebührenrechtlichen Traum eines Anwalts, als Pflichtverteidiger zu arbeiten. Für einen bis zu 5-stündigen Hauptverhandlungstag beim Amtsgericht gibt es 184,- Euro. Für die gesamte Vorbereitung eines Mord- oder Wirtschaftsprozesses erhält der Pflichtverteidiger keine 1.000,- Euro (Grund- und Verfahrensgebühren, ggf. mit Zuschlägen). In den USA wird beklagt, daß die Pflichtverteidiger für die Vorbereitung solcher Prozesse „nur“ 25.000,- bis 30.000,- Dollar bekämen. Aus deutscher Sicht ein Luxusproblem. Ich wurde kürzlich einem zwischenzeitlich mittellosen Geschäftsmann als Pflichtverteidiger beigeordnet, dem die ganze Palette der Wirtschaftskriminalität vorgeworfen wurde. 8 Jahre Ermittlungsdauer, meterdicke Akten. Ich habe wochenlang für die Vorbereitung des Prozesses benötigt. Für Gebühren in Höhe von 368,- Euro (VV 4100, 4104, 4112 RVG). Die Sache wurde -nicht zuletzt wegen meiner intensiven Vorbereitung – am ersten Hauptverhandlungstag mit einem „Deal“ (2 Jahre auf Bewährung) beendet. Pauschgebühr aus der Staatskasse? Fehlanzeige. Schönen Gruß von Art. 12 GG.

    In der Zeit, die für die Arbeit an einer Pflichtverteidigung draufgeht, kann man viele zivilrechtliche Schriftsätze fertigen oder Beratungen durchführen, die ein Vielfaches einbringen. Pflichtverteidigungen sind Verlustgeschäfte. Ich würde gerne darauf verzichten und mich statt dessen von meinem Mandanten direkt bezahlen lassen. Bei manchen Kostenbeamten, Bezirksrevisoren und Richtern hat man indessen den Eindruck, sie glaubten ernsthaft, ein Anwalt würde sich damit eine goldene Nase verdienen.

    Bekämpfen Sie die lebensfremden Rechnungen vieler Sachverständiger („Aktenstudium: 12 Stunden à 85,- Euro“), da ist weit mehr zu sparen als bei den pauschalen Pflichtverteidigergebühren.

  6. klabauter

    Ähem:
    @Burhoff:
    Ich habe an keiner Stelle geschrieben, dass ich von verbreitetem betrügerischem Verhalten ausgehe, sondern dargestellt, dass – offenbar meinen Sie das ja ernst und halten auch das von mir so bezeichnete „Pflichtverteidigungskarussell“ für jedenfalls formal gesetzeskonform – im Rahmen der Pflichtverteidigerbestellung bei Bestellung aus dem Grund der Waffengleichheit Manipulationsmöglichkeiten bestünden.

    @D.Crane:
    Wenn ich eine Manipulationsmöglichkeit aufzeige: was hat das mit anderen „lebensfremden Rechnungen“ zu tun und wie sollte ICH diese bekämpfen?
    jetzt wird es etwas offtopic:
    Dass Pflichtverteidigung nicht unbedingt lukrativ ist,steht auf einem anderen Blatt. Lukrativer als zu erkennen, dass der Wahlmandant nicht zahlen können/wollen wird, der Vorschuss verbraucht oder gar vergessen wurde und man dem „guten Geld“ viel vergebliches für Titulierung und Vollstreckung hinterherwerfen kann, ist sie allemal; hinzu kommt die Möglichkeit, Qualifikationsnachweise für den FA-Titel zu erwerben, wie etwa Hauptverhandlungen vor der großen Strafkammer u.a..

    Von einem generellen Verlustgeschäft schreibt noch nicht einmal ein erfahrener Strafverteidiger:
    vgl. Leipold, AnwBl. 2004,683, der ausführt (aaO S. 685):
    `“Zuerst sei genannt der Verteidiger mit fehlender Auslastung,
    der sich aktiv um Pflichtmandate bemüht. Hierbei
    handelt es sich meist entweder um junge Kollegen, die
    sich einen Mandantenstamm bzw. einen Namen erst
    noch schaffen müssen oder aber um Personen, die allgemein
    am Markt schlecht gestellt sind“

    und
    „Zum zweiten gibt es eine Gruppe von Verteidigern, die
    fast oder ganz ausschließlich über Pflichtverteidigungen
    Mandate akquirieren. Gelingt es einem solchen Verteidiger,
    etwa kleinere Betäubungsmittelfälle in großer Zahl
    abzuwickeln, so lässt sich der Zeitaufwand pro Mandat
    minimieren. Betrachtet man dann, dass der Repräsentations-
    und Werbeaufwand in einer solchen Kanzlei sehr
    gering ist, kann selbst die ökonomisch magere Pflichtverteidigung
    zu einem einigermaßen einträglichen Geschäft
    werden.“

  7. Denny Crane

    Pflichtverteidigung ist sogar SEHR lukrativ, wenn man nichts macht, außer Gebühren abzurechnen. So erhält man etwa im Strafvollstreckungsverfahren einschließlich des Rechtsmittelzuges rund 1.000,- Euro. Dafür muß man nichts weiter tun, als einer 5-minütigen Anhörung im Gerichtsgewahrsam beizuwohnen und eine nicht näher begründete \sofortige Beschwerde\ einzulegen. Alles in allem ca. 30 Minuten Arbeit und ein toller Stundenlohn.

    Genauso kann man natürlich mit den ganzen anderen Pflichtverteidigungen verfahren: Akte nicht anfordern, geschweige denn lesen, mit dem Mandanten nicht sprechen, in der Hauptverhandlung gelangweilt schweigen und lediglich den Staatsanwalt ein ganz klein wenig im Strafantrag unterbieten. Anschließend noch eine nicht näher begründete Berufung und Revision einlegen und schon ist man wieder 1.000,- Euro reicher, ohne sich überanstrengt zu haben.

    Es fragt sich nur, was das mit Verteidigung zu tun hat. Eine auch nur ansatzweise seriöse Pflichtverteidigung ist immer ein Verlustgeschäft.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert