Blutentnahme: Ich brauche meinen Schlaf, also stör mich nachts bloß nicht…..ist das keine Willkür?

Na, wenn das keine Willkür ist/war. Es geht mal wieder um die richterliche Anordnung bei der Blutentnahme (§ 81a Abs. 2 StPO). Dazu stellt das AG Reutlingen in seinem Urteil vom 25.11.2009 – 10 Ds 25 Js 16424/09, das mir heute übermittelt worden ist, fest:

Gegen 01:17 Uhr riefen die Beamten hingegen beim Bereitschaftsstaatsanwalt, Herrn Oberstaatsanwalt X  an. Dieser ordnete umgehend die Entnahme zweier Blut­proben an. Er versuchte dabei erst gar nicht, den Bereitschaftsrichter zu kontaktieren. Denn dieser, Vorsitzender Richter am Landgericht S , hatte ihm am Freitag, 14. August 2009 um 10.40 Uhr dienstlich eine Email mit dem Betreff „Bereitschaftsdienst“ gesandt. Diese lautete in vollem Wortlaut: „Sehr geehrter Herr Oberstaatsanwalt ….., zur Vorbereitung und Durchführung des gemeinsamen Bereitschaftsdienstes am kommenden Wochenende (Freitag, 14.8.2009, 14.00 Uhr bis Montag 17.8.2009, 7.30 Uhr) weise ich darauf hin, dass ich – auch in den Zeiten der Nachtbereitschaft und in Eilfällen – nicht lediglich aufgrund fernmündlicher Sachverhaltsdarstellung entscheiden werde, sondern um Zuleitung jeweils schriftlich abgefasster Anträge der Staatsanwalt­schaft bitte. Mit freundlichen Grüßen xxxxx Vors. Richter am Landgericht“. Zu einer schriftlichen Antragstellung sah sich der Bereitschaftsstaatsanwalt auf die Schnelle aber nicht in der Lage, zumal er auch nicht wusste, wie er den Antrag dem Bereitschafts­richter hätte nachts zukommen lassen sollen.

Wie schreibt der Kollege so schön: Die Stimmung wird langsam gereizt. Das AG hat ein BVV verneint, weil nicht willkürlich gehandelt worden sei. Das muss man m.E. anders sehen: Ist es denn nicht willkürlich, wenn von vornherein ein Tätigkwerden aufgrund mündlicher Stellungnahme abgelehnt wird. Was muss denn noch passieren. Man glaubt es nicht.

12 Gedanken zu „Blutentnahme: Ich brauche meinen Schlaf, also stör mich nachts bloß nicht…..ist das keine Willkür?

  1. BV

    Interessante Idee des Richters. Blöd nur, wenn die irgendwann zum Bumerang wird. Ich denke an den fließigen, aber auch etwas gemeinen Staatsanwalt, der sein Anliegen um 22.00 Uhr telefonisch hätte vortragen können, sich dann aber ob der Ansage des Richters ans Formulieren eines ausführlichen Antrags macht, den er um 2.00 Uhr persönlich am Wohnsitz des Richters überreicht 😉

  2. Detlef Burhoff

    In der Tat, dann ist/wird es ein Bumerang. Nur: Das wird i.d.R. kein Staatsanwalt tun. Und auf diese Art und Weise wird der Richtervorbehalt ausgehebelt. Es ist gegen die Entscheidung Rechtsmittel eingelegt. Mal sehen, was daraus wird 🙂

  3. Carlo

    Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Man glaubt nicht, wie Gerichte (und Sie ja offenbar auch) der Ansicht sein können, aufgrund telefonisch übermittelter und nirgends dokumentierter Angaben lasse sich eine rechtsstaatlich irgendwie „werthaltige“ richterliche Entscheidung treffen.

  4. Detlef Burhoff

    Machen Sie sich keine Gedanken. Ich bin mir aufgund meiner Erfahrung sicher, dass ich weiß, wie man „werthaltige“ Entscheidungen trifft und wie man Angaben dokumentiert, wenn man will.

  5. Carlo

    Was mir jetzt nur noch Kummer macht, ist, wie Sie eigentlich in Ihrem über 30jährigen früheren Berufsleben als Strafrichter mit einer so offensichtlich willkürlichen gegenteiligen Praxis leben konnten. Oder hatten Sie zwischendurch so eine Art Damaskus-Erlebnis?

  6. Detlef Burhoff

    Sie haben Recht: Es ist mir unerklärlich und auch peinlich, warum eigeentlich niemand, auch ich nicht, auf den Richtervorbehalt in § 81a Abs. 2 StPO geachtet hat. Erst die Entscheidung des BVerfG v. 12. 2. 2007 hat ihn in das juristische Rampenlicht gebracht. Und nun: Diskussionen und Bestrebungen, wie man ihn „umgehen“ kann. Da fände ich es ehrlicher, man würde ihn gelich abschaffen. Allerdings weiß ich nicht, wie das gehen soll? Für alle Verfahren?

  7. Valentin

    Stark vereinfacht und etwas polemisch kann man doch die gesamte strafprozessuale Rechtsprechung, von vereinzelten rechtsstaatlichen Ausreißern abgesehen, die in der Folge durch den BGH schnell wieder zugunsten einer „pragmatischen“ Lösung korrigiert werden, wie folgt zusammenfassen:

    „Gesetzliche Vorschriften, die aus organisatorischen, menschlich nachvollziehbaren oder finanziellen Gründen nicht eingehalten werden können, sind unbeachtlich. Ihre Verletzung führt zu keinen das schützenswerte staatliche Strafverfolgungsinteresse beeinträchtigenden Folgen.“

    Es geht der Mehrzahl der Gerichte offenbar nur darum, eine im Grunde rechtswidrige Ermittlungsmaßnahme „zu retten“ und ein Beweisverwertungsverbot zu verneinen, weil die Einhaltung gesetzlicher Regeln durch den Staat „unerträgliche Strafbarkeitslücken“ zur Folge haben könnte. Auf die Idee, daß die konsequente Bejahung von Beweisverwertungsverboten eine Disziplinierung der Staatsgewalt und eine Einhaltung der gesetzlichen Regeln zur Folge haben könnte, kommt man entweder nicht oder dieser Gedanke ist aus eben jenen organisatorischen, „menschlich nachvollziehbaren“ oder finanziellen Gründen nicht erwünscht. Bis heute haben nur wenige Gerichte die bereits „uralte“ Rechtsprechung des BVerfG zum richterlichen Bereitschaftsdienst umgesetzt, weil im eigenen Bezirk trotz hunderter nichtrichterlich angeordneter Ermittlungsmaßnahmen im Jahr kein praktischer Bedarf für Bereitschaftsrichter gesehen wird.

    Es ist Mandanten schlichtweg nicht zu erklären, daß rechtswidrige Maßnahmen des Staates regelmäßig folgenlos bleiben. Wozu, so fragt der Mandant zurecht, haben wir gesetzliche Spielregeln gegen staatliche Selbstherrlichkeit, wenn ihre Verletzung in der Mehrzahl der Fälle keine Konsequenzen hat? Nach 60 Jahren Grundgesetz gilt in Deutschland de facto leider noch immer, daß Gesetze in erster Linie von Privaten zu beachten sind, der Staat mit seinen eigenen Regeln aber etwas lockerer umgehen darf. Das gilt sowohl für die Verwaltungs- als auch für die Strafgerichtsbarkeit.

    Ein Richter am Hessischen Verwaltungsgerichtshof antworte mir auf diese Kritik einmal völlig verständnislos: „Wieso? Das ist doch im öffentlichen Interesse…“

  8. n.n.

    selbstverständlich hat der herr oberstaatsanwalt willkürlich auf die herbeiführung eines richterlichen beschlusses verzichtet. er hätte selbstverständlich beim richter anrufen und ihn um die herausgabe einer faxnummer bitten müssen, um schnell zwei zusammengekritzelte a4-seiten zu faxen.
    und wenn das nicht gefruchtet hätte, hätte der herr richter eben nach mündlicher erörterung beschließen müssen.

  9. rechter laie

    könnte man den bereitschaftsrichter nicht wegen „rechtsbeugung“ o. ä. dran kriegen.

    wenn er bereitschaftsdienst hat, muss er ja immer ereichbar sein.
    wenn er sagt nur schriftlich erreichbar zu sein, dann muss er ja immer zu hause sein, oder in der mail gleich sagen wann ihm wo welche schriftstücke zusgestellt werden sollten…

    dass er als bereitschaftsrichter auch bei eiligen fällen keine telefonischen entscheidungen treffen will, sollte zumindest für eine dienstaufsichtsbeschwerde reichen.

    ansonsten: muss der richter die fälle doch zumindest vorher anhören, bzw. sich davon mündlich in kenntniss setzen lassen. schließt er ein solches vorgehen für alle fälle aus handelt er willkürlich.

    also so ein kleines verfahren wegen rechtsbeugung, hätte er doch verdient.
    hoffentlich lässt sich so was auch umsetzen.

  10. Th. Koch

    Ich stimme grds. der Position zu, dass ein umfassenderes BVV dringend nötig ist, um die „Umgehungstechniken“ in den Griff zu bekommen, meine aber, dass die Entscheidung hier insofern falsch verstanden wird, als das AG Willkür des Staatsanwalts verneint hat, soweit dieser darauf verzichtete, den Richter zu kontaktieren, weil wegen des Verhaltens des Richters ein Bereitschaftsdienst facto nicht erreichbar gewesen sei. Um Willkür des Richters geht es daher nicht.
    Das Verhalten des Richters ist m.E. aber nicht zu beanstanden, wenn man unterstellt, dass eine Zuleitung von Schriftstücken, z. B. per Fax ode eMail, jedenfalls nach vorheriger telefonischer Kontaktaufnahme möglich war. Danach hätte der Staatsanwalt auf den Versuch einer Kontaktaufnahme mit dem Richter nicht verzichten dürfen. Eine Telefonnummer des Bereitschaftsrichters muss er haben und die eMail-Adressse muss er aufgrund der erhaltenen Mail kennen. Das AG hat es sich daher im Ergebnis viele zu leicht gemacht,

  11. -thh

    Dass einzelne Richter, aber auch die Richterschaften ganzer Gerichte sich weigern, ohne schriftlichen Antrag zu entscheiden, ist ja nun nicht neu, sondern nach der Einrichtung umfasssender Bereitschaftsdienste in Baden-Württemberg (andere Bundesländer sind offenbar heute noch nicht so weit) ein (zwar meist sehr lokales, aber) bekanntes Phänomen. Daher gibt es auch bereits seit Jahren Literatur und Rechtsprechung zu dieser Frage (die sich dort, wo es erst gar keinen funktionierenden Bereitschaftsdienst gibt, so gar nicht stellt ;)).

    Beichel/Kieninger in NStZ 2003, 10: Kein Wiederaufleben der Eilentscheidungsbefugnis der StA nach richterlicher Entscheidungsweigerung.

    Hofmann in NStZ 2003, 230: Wiederaufleben der Eilentscheidungsbefugnis der StA nach richterlicher Entscheidungsweigerung.

    Krehl in NStZ 2003, 461: Anspruch des Bereitschaftsrichters auf Aktenvorlage vor Entscheidung; Wiederaufleben der Eilentscheidungsbefugnis der StA nach richterlicher Entscheidungsweigerung nur dann, wenn rechtzeitige Aktenvorlage nicht möglich.

    Schulze in NStZ 2003, 635: Wiederaufleben der Eilentscheidungsbefugnis der StA nach richterlicher Entscheidungsweigerung.

    Mit Beschluss vom 11.08.2005 – 5 StR 200/05 – hat sich der BGH der letztgenannten Meinung angeschlossen.

    Anyway, ich halte es durchaus für rechtsstaatlich geboten, trotzdem im Einzelfall die Einholung einer – telefonischen – richterlichen Anordnung zu versuchen. Das hat den Nebeneffekt, daß jemand, der sowieso nachts regelmäßig geweckt wird, vielleicht irgendwann zu der Überzeugung gelangt, daß er möglicherweise doch eine Entscheidung ohne Aktenvorlage treffen kann.

    Daß letzteres gerne nur ein Vorwand ist, zeigt sich im übrigen daran, wenn – weniger nachts als vielmehr wochenends – dem zur Entscheidung berufenen Richter angeboten wird, die Akten durch die Polizei an die Wohnanschrift bringen zu lassen, ggf. auch unter Inanspruchnahme der Rechte aus §§ 35, 38 StVO. Dies führt dann meist eher weniger zur Begeisterung, erst recht, wenn das Angebot dennoch umgesetzt wird, wie man hört.

    @Detlef Burhoff (Nr. 4): Die weitverbreitete praktische Umsetzung der mündlichen richterlichen Entscheidung läßt im übrigen das Beharren auf derselben leider oft eher als Formsache erscheinen; löbliche Ausnahmen seien ausdrücklich hervorgehoben.

    @NN (Nr. 8): Ihr Vorschlag setzt voraus, dass der Richter ein Faxgerät _hat_ und daß er bereit ist, ein solches für dienstliche Zwecke zu verwenden. Immerhin kostet das Papier und Toner. Ich teile Ihre – unausgesprochene – Ansicht, daß es zum richterlichen Berufsethos gehören sollte, solche Centbeträge auch ohne Erstattung durch den Dienstherrn privat auszulegen, genau wie die Bereithaltung der notwendigen Literatur für den Bereitschaftsdienst (oder wenigstens deren Mitnahme aus dem Gericht) und eine entsprechende Vorbereitung („Aufarbeitung“ der rechtlichen Materien, mit denen er möglicherweise im täglichen Dienstbetrieb nicht befaßt ist, ggf. Vorbereitung von Checklisten oder Vordrucken) selbstverständlich sein sollte. Wie man nicht nur den Publikationen der sog. „Neuen Richtervereinigung“ entnehmen kann, die solcherlei für eine unglaubliche Zumutung halten und dringend dazu raten, am besten nichts und sonst nur nach vollständiger Aktenvorlage zu entscheiden, ist dem leider nicht in allen Fällen so.

    @Th. Koch (Nr. 10): Die verwendete E-Mail-Adresse war natürlich die dienstliche, davond darf man an einem Freitagvormittag wohl – selbst bei einem VRLG 😉 – wohl ausgehen. Sie haben natürlich recht, das ein Bestehen auf schriftlicher Sachverhaltsfassung, wenn diese denn voraussichtlich sinnvoll zeitnah zugeleitet werden kann, durchaus vernünftig und fraglos nicht zu beanstanden ist. Die Praxis zeigt allerdings, daß diesem Ansinnen leider vorwiegend die von Herrn Burhoff schon richtig erkannten Interessen zugrunde liegen, und in der Regel kennt die Staatsanwaltschaft die Richter ihres Bezirks gut genug, zum einzuschätzen, was Sache ist. (Ob die Verzögerung für die Herstellung vollständiger Akten, deren Zuleitung und dann ggf. die schriftliche Abfassung der Entscheidungsgründe nicht so groß ist, daß ansonsten – gerade bei Blutentnahmen – ein Verlust der Beweismittel droht, ist dann noch eine andere Frage. Sehr eilige Maßnahmen erfordern eben aus der Natur der Sache auch schnelle Entscheidungen, die nicht immer auf dem schriftlichen Weg getroffen werden können. Ich halte aber in jedem Fall eine auch nur mündliche richterliche Entscheidung ggü. der Inanspruchnahme der staatsanwaltschaftlichen oder gar polizeilichen Eilkompetenz für vorzugswürdig.)

  12. n.n.

    @ thh

    großartig, an diesen hebel hatte ich ja gar nicht gedacht:

    „Daß letzteres gerne nur ein Vorwand ist, zeigt sich im übrigen daran, wenn – weniger nachts als vielmehr wochenends – dem zur Entscheidung berufenen Richter angeboten wird, die Akten durch die Polizei an die Wohnanschrift bringen zu lassen, ggf. auch unter Inanspruchnahme der Rechte aus §§ 35, 38 StVO. Dies führt dann meist eher weniger zur Begeisterung, erst recht, wenn das Angebot dennoch umgesetzt wird, wie man hört.“

    kommentarlos und ohne vorwarnung das grüne auto mit sirene und akten (bestehend aus 2 blatt papier) anrauschen lassen. das drei mal pro nacht und der herr richter wird sich nach eingehender beratung mit seiner nachbarschaft überlegen, ob er wirklich nicht in der lage ist, seine private mailadresse/fax für derartige situationen zu nutzen. oder doch wieder am telefon zu entscheiden.

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