Immer „Theater“ um Terminsverlegung. Aber wohl nicht beim erkrankten Verteidiger

Der Sachverhalt der Entscheidung des OLG Koblenz im Beschl. v. 10.09.09 – 2 Ss Rs 54/09 ist schon erstaunlich. Der Betroffene wird auf seinen Antrag von der Anwesenheitspflicht entbunden (§ 73 Abs. 2 OWiG). Der Verteidiger, der für ihn zur Hauptverhandlung kommen soll, erkrankt und teilt das dem Amtsgericht rechtzeitig mit und beantragt Terminsverlegung. Der Antrag wird abgelehnt, u.a. mit dem Hinweis auf das Beschleunigungsgebot und den einfach gelagerten Sachverhalt, und der Betroffene wird verurteilt.

Da fragt man sich ja dann doch schon, welche Vorstellung das Amtsgericht vom Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör hat. Jedenfalls hatte das OLG Koblenz einen anderen und hat – zutreffend – das Urteil des AG aufgehoben. Die Fürsorgepflicht des Gerichts gebiete grds. zwar nur unter besonderen Umständen eine Vertagung der Hauptverhandlung wegen Verhinderung des Verteidigers. Maßgeblich seien die Umstände des Einzelfalls. Eine beantragte Terminsverlegung dürfe nach einem rechtzeitig eingegangen Verlegungsantrag aber nicht abgelehnt werden, wenn der Angeklagte auf Antrag seines Verteidigers vom persönlichen Erscheinen entbunden worden war und deshalb darauf vertrauen konnte, in der Hauptverhandlung von diesem vertreten zu werden, der Verteidiger an der Hauptverhandlung aber wegen einer Erkrankung nicht teilnehmen könne.

Und: Das OLG weist das AG darauf hin, dass der Verteidiger im Übrigen nicht verpflichtet sei, die Erkrankung über die anwaltliche Versicherung hinaus glaubhaft zu machen.

8 Gedanken zu „Immer „Theater“ um Terminsverlegung. Aber wohl nicht beim erkrankten Verteidiger

  1. Thomas

    Die besondere Glaubhaftigkeit der „anwaltlichen Versicherung“ ist ja heutzutage problematisch genug. Aber seit wann können die Bürohilfskräfte des Verteidigers „anwaltliche Versicherungen“ abgeben? So war es nämlich hier.

  2. cledrera

    War es hier so?
    Aus der Entscheidung des OLG geht etwas anderes nämlich nicht hervor.
    Dort ist zwar die Rede von dem Büro des Verteidigers. Im Übrigen dürfte der Senat aber des Lesens soweit kundig sein, das er die anwaltliche von der bürohilfskraftmäßigen Versicherung unterscheiden kann.
    Wurde also, was regelmäßig der Fall ist, das in Rede stehende Schreiben von einem Anwalt unterzeichnet, kann man dem OLG nur uneingeschränkt beipflichten.

  3. Detlef Burhoff

    hallo, wir können davon ausgehen, dass ein OLG-Senat mit Mitgliedern besetzt ist, die lesen können. Und: Wenn das OLG schreibt: anwaltliche Versicherung, dann meint es das auch so. Zudem: Handelt es sich nicht auch dann um eine „anwaltliche Versicherung“, wenn die Bürokräfte des erkrankten Rechtsanwalts in dessen Auftrag Erklärungen abgeben.
    @Thomas: den ersten Satz des Kommentars verstehe ich nicht.

  4. Thomas

    Da der Verteidiger erklärtermaßen krank war, kann es sich ja wohl nur um die „Versicherung“ einer Bürohilfskraft gehandelt haben. Eine Erklärung des Verteidigers gegenüber der Anwaltsgehilfin, die von dieser dann als Botin weitergetragen wird, kann keine höhere Zuverlässigkeit haben als das schwächste Glied der Kette (die Anwaltshehilfin) und taugt deshalb ganz bestimmt nicht als „anwaltliche Versicherung“.

    Zum ersten Satz meines Kommentars: Das Selbstverständnis als „Organ der Rechtspflege“, auf dem die besondere Aussagekraft der „anwaltlichen Versicherung“ beruht, ist doch bei vielen Anwälten längst perdu. Das merkt man nicht zuletzt im Verkehrsrecht, wo den Verteidigern – löbliche Ausnahmen seien zugestanden – kein Trick zu dämlich ist, um z.B. Zustellungsfehler und damit den Eintritt der kurzen Verjährung zu provozieren.

  5. Detlef Burhoff

    wo steht das und wer sagt das? „ganz bestimmt“ ist kein Argument, sondern eine Formulierung, die die Schwäche der Argumentation abschwächen soll.

    Im Übrigen: Sie scheinen Verteidiger – aus welchen Gründen auch immer – nicht zu mögen. Verteidiger haben nun mal eine ihnen vom Gesetz zugeschriebene Beistandspflicht, die sie verpflichtet, für den Mandanten alles zu tun. so lange es legal bleibt/ist. Lesen Sie dazu mal die Rechtsprechung des BVerfG und des BGH, die nun beileibe nicht anwaltsfreundlich ist, das zum Glück aber immer noch genau so sieht. Und „Trick“ und „dämlich“. Es ist immer einfach aus der Anonymität des Internet heraus so zu argumentieren. Was ist denn ein Trick? Das Prozessrecht sieht es anders bzw. bietet zumindest die Möglichkeit, so zu verfahren. Auch, wenn es Ihnen offenbar nicht gefällt.

  6. Sascha Petzold

    Liebe Kollegen(innen),
    die anwaltliche Versicherung mag interessant sein. Wichtiger und bezeichnender ist aber die Argumentation Beschleunigungsgebot. Es ist leider in der Praxis unterhalb des BVerfG festzustellen, dass das Beschleunigungsgebot fast ausnahmslos nur gegen den Angeklagten zum Einsatz kommt; primär bei Anträgen zur Terminsverlegung.

    Die Auffssung, dass das Beschleunigungsgebot eine rasche Verurteilung über sonstige – auch verfassungsrechtliche Rechte – des Angeklagten suspendiere offenbart grobe Unkenntnis (die leider auch vom 1. Senat des BGH geteilt wird). Es ist doch unerträglich, dass Richter ihren Freizeitinteresse mittlerweile Verfassungsrang zuschreiben.

    Die ernsthafte Frage ist aber, wie kann man dem begegnen. Das OLG Koblenz hat hierfür ja keine Klarstellung für angezeigt erachtet. Ich befürchte, das das auch von vielen anderen OLG’s nicht zu erwarten wäre. Die Hoffnung auf das BVerfG ist auch nicht groß; zumal es ja richterlicher Volkssport zu schein scheint, die Rspr. des BVerfG zu ignorierern oder gar zu pervertieren.

    Sascha Petzold

  7. RA JM

    @Thomas:

    Wer also immer brav seine schriftliche Vollmacht zur Akte reicht, darf sich demnach als vollwertiges „Organ der Rechtspflege“, betrachten, wer die sich aus den §§ 51 OwiG, 145 a StPO ergebenden Möglichkeiten im Interesse seines Mandanten nutzt, dagegen wohl nicht. Finden Sie Ihre Polemik wirklich überzeugend?

  8. Detlef Burhoff

    @ Sascha Petzold: Was man in der Tat in dem Beschluss des AG vermisst ist die Abwägung des Beschleunigungsgebotes, das leider immer wieder und immer mehr gegen den Angeklagten/Betroffenen verwendet wird, mit dem Anspruch auf den Anwalt des Vertrauens, der ja auch im OWi-Verfahren besteht.

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