Archiv für den Monat: August 2009

kein vorauseilender Gehorsam der Gerichte

Heute mal eine gebührenrechtliche Nachricht. Nicht, weil der Beschluss wichtig wäre, zudem stammt er auch nicht aus Teil 4 oder Teil 5 VV RVG. Er enthält nur eine „nette“ Formulierung.

In einem Ehescheidungsverfahren macht der Rechtsanwalt über § 55 RVG seine gesetzlichen Gebühren für die Beiordnung geltend. Es wird um die Anrechung der Geschäftsgebühr gestritten. Der Rechtsanwalt weist auf § 15a RVG, der nun bald in Kraft treten werde, hin. Die Antwort des OLG Jena:

„Die Rechtsprechung kann nur geltendes, nicht zukünftiges Recht anwenden. Ein Pflicht zum vorauseilenden Gehorsam  der Rechtsprechung gegenüber dem Gesetzgeber besteht nicht.“

Na, ja. Ich finde eine ganz schön arrogante Formulierung. Und (zur Sache kann ich nichts sagen): Kann man denn nicht mit dem Rechtsgedanken einer vom Gesetzgeber bereits beschlossenen Neuregelung argumentieren?

Wer es nachlesen will: OLG Jena, Beschl. v. 27.07.2009 – 3 Ws 242/09

OLG Hamm watscht JM NRW. Begründung von 3 Ss 293/08 liegt vor.

In den vergangenen Tagen ist in der Presse schon über das Urteil des OLG Hamm vom 18.08.2009 – 3 Ss 293/08 berichtet worden. Ich habe es gesucht und der Kollege Brüntrup, der es erstritten hat, hat es mir heute morgen zur Verfügung gestellt. Wenn man es liest, sagt man schnell: Boh, eih. An sich ein Feld Wald und Wiesen-Fall, aber: Er wird weit reichende Folgen haben. Im JM NW ist man sicherlich schon am rotieren und wird sich über die „Watschen“ aus Hamm nicht freuen. Denn das OLG hat mit ziemlich deutlichen Worten das JM NRW darauf hingewiesen, dass es seit Jahren den Richtervorbehalt bei nächtlichen Durchsuchungen missachtet und – zumindest im LG Bezirk Bielefeld – ein richterlicher Eildienst auch nachts hätte eingerichtet werden müssen.  Das OLG Hamm kommt dann zu einem Verwertungsverbot, das es vor allem damit begründet:

Insbesondere unter Berücksichtigung des besonderen Gewichts des verfassungsrechtlich angeordneten Richtervorbehalts bei Wohnungsdurchsuchungen führt dessen gröbliche Verletzung durch die Justizverwaltung zu einem Verwertungsverbot der bei einer Durchsuchungsmaßnahme, die unter Verletzung der Zuständigkeitsregelungen der StPO durchgeführt worden ist.

Wenn man das vom OLG ausgewertete und beigezogene Zahlenmaterial liest, fragt man sich, wie blauäugig muss man eigentlich sein, um nicht erkennen zu können, dass bei einer durchgeführten Befragung etwas nicht stimmen kann, wenn als Ergebnis herauskommt, dass im Bezirk der StA Esssen über einen längeren Zeitraum keine nächtlichen Zwangsmaßmnahmen angefallen sein sollen.

Das Urteil befasst sich mit der Durchsuchung, hat aber natürlich, worauf  das OLG Hamm ausdrücklich hinweist, auch Auswirkungen auf nächtliche Blutentnahmen. Der Richtervorbehalt ist nicht teilbar.

Die Diskussion wird jetzt einsetzen. Die Aufschreie werden nach diesem Urteil lauter werden. Man wird den Richtervorbehalt nach Möglichkeit für „geringere Eingriffe“ abschaffen wollen. Das Land Niedersachsen hat ja schon eine Gesetzesinitiative angemeldet. Lasst uns mitdiskutieren.

Keine Haftentschädigung wegen Mehrfachbelegung und offener Toilette

Der 18. Zivilsenat des OLG Düsseldorf hat einem Häftling Prozesskostenhilfe für eine Schmerzensgeldklage versagt, mit der dieser 2.420 EUR wegen einer nach seiner Auffassung menschenunwürdigen Inhaftierung in der Justizvollzugsanstalt Duisburg (Gemeinschaftsunterbringung in Haftzelle mit offener Toilette) verlangen wollte.

Der Kläger war im Jahr 2006 sechs Wochen in Gemeinschaftszellen in der Justizvollzugsanstalt Duisburg untergebracht worden (August 2006 für acht Tage mit drei weiteren Gefangenen, September/Oktober 2006 für fünf Wochen mit einem weiteren Gefangenen). In den Zellen befand sich eine offene Toilette mit Sichtschutz.

Der 18. Zivilsenat des OLG Düsseldorf hat sich der Argumentation des LG Duisburg angeschlossen und Prozesskostenhilfe verweigert, weil eine Klage erfolglos sei. So hatte bereits das LG Duisburg deutlich gemacht, dass die Enge der Zelle und die unzureichende Abtrennung als Solches kein Schmerzensgeld rechtfertigen können. Vielmehr komme ein Schmerzensgeld nur dann in Betracht, wenn eine besondere Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts gegeben sei. Dafür müssten sich die Haftumstände auch in besondere Weise auf die körperliche und seelische Verfassung des Gefangenen tatsächlich auswirken. Hier habe der Gefangene aber nicht zu erkennen gegeben, dass er auf eine Einzelunterbringung besonderen Wert gelegt habe. Er habe zwar gegenüber Bediensteten der Justizvollzugsanstalt erwähnt, dass er eine Einzelunterbringung wünsche. Jedoch habe er nicht einmal einen Antrag an die Gefängnisleitung oder einen Antrag an das Gericht auf Einzelunterbringung gestellt.

Na ja, was soll man dazu sagen. Wenn er doch nur nicht geduldig geschwiegen hätte. Nur: schweigt er nicht, dann hat er den Stempel Querulant in der Akte.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 25/2009 des OLG Düsseldorf vom 27.08.2009

EGMR zur Akteneinsicht beim inhaftierten Beschuldigten

Der EGMR hat mal wieder zur Akteneinsicht beim inhaftierten Beschuldigten entschieden (vgl. Beschl. v. 02.06.2009, 29705/05). Danach verstößt es gegen das völkerrechtlich verbürgte Recht auf Freiheit und Sicherheit, wenn einem anwaltlichen Verteidiger in einem nationalen Haftprüfungsverfahren die von ihm beantragte Akteneinsicht versagt wird. In einem solchen Fall kommt ein inhaftierter Beschwerdeführer nicht in den Genuss eines kontradiktorischen Verfahrens, in dem die Waffengleichheit zwischen den Prozessparteien sichergestellt ist. Das ist eine Fortsetzung der bisherigen Rechtsprechung des EGMR. Die Problematik wird sich aber hoffentlich nach Inkrafttreten des neuen § 147 Abs. 1 Satz 2 StPO am 01.01.2010 entschärfen. Danach ist in den Fällen „in der Regel“ Akteneinsicht zu gewähren.